Wölfe mit dem Stock verscheuchen
Brandenburg erlässt als erstes Bundesland eine Verordnung zum Umgang mit den 22 Rudeln, die hier nachgewiesen sind
Es ist gar nicht lange her, da stand abends plötzlich ein Wolf vor einer Bewohnerin von Grebs, einem kleinen Dorf im Landkreis Potsdam-Mittelmark. Sie hatte einen Stock dabei, fuchtelte damit herum und schrie, bis sich das Tier verzog.
Das Vorgehen der Frau wäre von der Wolfsverordnung gedeckt, die Umweltminister Jörg Vogelsänger (SPD) am Donnerstag unterschrieb. Die elf Paragrafen sollen Anfang 2018 in Kraft treten. Sie regeln, wer in welchen Situationen einen Wolf verscheuchen, schlagen, mit Steinen bewerfen, einfangen oder - wenn alles andere nicht hilft - im Ausnahmefall sogar abschießen darf. Mit der Wolfsverordnung betrete Brandenburg Neuland, sagte Vogelsänger. Andere Länder zeigten Interesse und werden vielleicht nachziehen. Der erste Anruf des neuen niedersächsischen Umweltministers Olaf Lies (SPD) bei ihm habe der Wolfsverordnung gegolten, verriet Vogelsänger.
»Im Großen und Ganzen sind wir mit der Wolfsverordnung einigermaßen zufrieden«, erklärte Christiane Schröder, Landesgeschäftsführerin des Naturschutzbundes. »Das A und O ist die Umsetzung.« Schröder äußerte Verständnis für Menschen, die Angst vor den Raubtieren haben. Aber es sei ganz normal, wenn ein Wolf durch den Wald streife. Natürlich wirke das für Wanderer bedrohlich. Doch als bedrohlich empfinden Wanderer auch, wenn sie auf eine Rotte Wildschweine stoßen, erinnerte Schröder.
Dass in Grebs ein Wolf in eine Siedlung hineinlief, macht diesen Wolf aus Sicht des Umweltministeriums noch nicht zum Problemwolf, der notfalls getötet werden muss. Denn er habe ein Reh verfolgt und im Ort gerissen. Später sei er wiedergekommen, um seine Beute zu fressen. Da begegnete ihm die Frau.
Als Problemwolf galt dagegen ein junges Tier, das vor einem Jahr mehrmals nach Rathenow hineinkam. Er war von einem sachsen-anhaltischen Truppenübungsplatz herübergekommen. Ein NATO-Manöver hatte ihn aus seinem Revier verscheucht. Doch als die Fallen für den Problemwolf endlich aufgestellt waren, ließ er sich nicht mehr blicken.
Damit im Ernstfall künftig schneller reagiert werden kann, wurde die Wolfsverordnung erarbeitet. In allen Landkreisen soll nun nach einheitlichen Vorgaben gehandelt werden - und zwar zügig, innerhalb von Tagen, wie Minister Vogelsänger betonte. Das Landesumweltamt hat die Angelegenheit extra an sich gezogen. Nach den bisherigen Erfahrungen erwartet Vogelsängers Ressort jedoch, dass es nur in einem Prozent der Konfliktfälle um Menschen gehen werde und nicht darum, dass Wölfe Nutztiere reißen. Dass Wölfe Menschen anfallen, sei in Mitteleuropa in den zurückliegenden Jahren nicht vorgekommen.
Da der Wolf unter Artenschutz steht, bleibt die reguläre Jagd auf ihn verboten. Doch wenn einzelne Exemplare immer wieder in bestimmte Viehherden einbrechen und dabei selbst hohe Elektrozäune überwinden, kann zur Abwendung schwerer wirtschaftlicher Schäden gegen sie vorgegangen werden. »Wir wollen kein Wettrüsten mit dem Wolf veranstalten«, stellt das Ministerium klar. Zwar winken Fördermittel für Zäune und Schutzhunde. Aber: »Wir werden nicht sämtliche Mutterkuhherden im Land Brandenburg einzäunen können. Das übersteigt unsere finanziellen Möglichkeiten.«
In den vergangenen zehn Jahren sind 870 Schafe, 13 Ziegen und 72 Kälber entweder nachweislich von Wölfen gerissen worden oder die Gutachter konnten zumindest nicht ausschließen, dass Wölfe zugebissen haben. Allein im laufenden Jahr sind 76 531 Euro Entschädigung bewilligt worden. Doch viele Landwirte melden ihre Schäden schon gar nicht mehr. Lieber versuchen sie heimlich, die Wölfe zu erwischen, wird erzählt.
Die Wolfsverordnung werde den Praxistest nicht bestehen, glaubt der Landtagsabgeordnete Dieter Dombrowski (CDU). Der an sich unstrittige Artenschutz dürfe nicht dazu führen, »dass Weidetierhalter erst einmal abwarten müssen, dass ein und derselbe Wolf mehrfach Nutztiere reißt, bevor etwas unternommen wird«. Und wenn Problemwölfe immer erst nach Zustimmung des Landesumweltamts vergrämt oder abgeschossen werden dürfen, sei der Personalmangel dort zu bedenken und die Unsitte, Fachleute nur mit befristeten Verträgen einzustellen.
Biobauer Frank Michelchen aus Leibsch im Unterspreewald bezeichnete die Wolfsverordnung als »vergiftetes Weihnachtsgeschenk«, denn sie sei » das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurde«. Bauer Michelchen ist Betroffener. Wölfe haben ihm dieses Jahr bereits das dritte Kalb gerissen. »Durch eine Vielzahl von Einschränkungen und schwammigen Formulierungen bleiben wir Landwirte den Launen praxisfremder Bürokraten ausgeliefert«, schimpfte er. Die Politiker seien eingeknickt vor der mächtigen Lobby der Naturschutzverbände. Kommentar Seite 4
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