«Wäller» suchen ein neues Image

Es scheint vieles festgefahren im Westerwald - doch das soll nicht so bleiben

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Westerwald hat ein Imageproblem. Das ist nicht neu, Bewohner jener teils etwas schroffen und infrastrukturell unterversorgten Mittelgebirgsregion zwischen Siegen und Koblenz, Bonn und Wetzlar, gelten seit je als dickköpfig und eigensinnig. Als «Wäller» eben, wie man sie andernorts spottet. Bekam so auch Thüringens AfD-Hardliner Björn Höcke seine Prägung, als er einst in einem Westerwald-Dorf zur Schule ging? Allerdings: Auch der Reformer Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein stammte aus der Region.

Das Westerwaldlied («Heute wollen wir marschier‘n, einen neuen Marsch probier‘n...) allerdings steht wiederum nicht eben für bestes deutsches Volksliedgut. So stoppte erst vor wenigen Wochen das Verteidigungsministerium in Bonn eine Neuausgabe des Bundeswehr-Liederbuches »Kameraden singt!« - eben wegen einiger Altlasten wie dem Westerwaldlied. Immerhin waren deutsche Soldaten, auch jene Zeilen auf den Lippen, im Zweiten Weltkrieg marodierend durch Europa marschiert.

Auf jeden Fall tut Handeln Not für das Image jenes rechtsrheinischen Teil des Schiefergebirges, auch wenn die Region wirtschaftlich so schlecht nicht da zu stehen scheint. Die Arbeitslosenquote sank unter fünf Prozent, bei der Bruttowertschöpfung bringt es der Westerwaldkreis unter den 24 Landkreisen in Rheinland-Pfalz auf den zweithöchsten Wert. Und wie in manch anderer Abseitslage auch etablierte sich eine kreative Nischenindustrie. Rund ein Dutzend Hidden Champions, also kaum bekannte (Welt)Marktführer, fertigen hier etwa Kunststoffprodukte, Funktionsmöbel oder Elektroanlagen.

Und doch scheint vieles festgefahren im Westerwald. Immerhin klagt fast jedes zweite regionale Unternehmen über »keine relevanten positiven Veränderungen in den vergangenen fünf Jahren«. Mehr als 60 Prozent befürchten zudem »mittelfristig keine Entwicklung ihrer Geschäftstätigkeit«. So las man es vor Jahresfrist im Fazit einer Standortumfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Koblenz unter deren Mitgliedsunternehmen. Viele Firmen fühlten sich demnach inzwischen als »orientierungslos« oder sehen sich laut IHK-Präsidentin Susanne Szczesny-Oßing im »Entwicklungs-Niemandsland«. Auch die 52-jährige ist Aufsichtsratschefin eines jener verkannten Nischenmarktführer, einer Schweißtechnikfirma in Mündersbach.

So pendeln inzwischen täglich 12 000 Westerwälder mehr aus als ein - vor allem in die Wirtschaftszentren Rhein-Main, Köln/Bonn und Koblenz. Als ein wesentlicher Grund dafür gilt gemeinhin das Image des Westerwaldes - weil es schlecht sei oder ganz fehle. Mehr als die Note 3 vergeben die Firmenchefs im Moment nicht an das offenbar zu wenig professionelle Standortmarketing für den Westerwaldkreis. Diesem mangele es weiterhin an einem »überregional ausstrahlenden Profil, mit dem eine Wahrnehmbarkeit auch in anderen Teilen Deutschlands gelingt«, so die Mehrheitsmeinung.

Der Präsident des Landtage von Rheinland-Pfalz, Hendrik Hering (SPD), der selbst aus dem Westerwald stammt, versucht es positiv zu formulieren: »Die Region ist eine, die unterschätzt wird.« Um dem abzuhelfen, leitet Hering seit Ende 2015 ein Westerwald-Forum. Das ist ein Gesprächskreis unter dem Dach der Friedrich-Ebert-Stiftung, zu dem sich Multiplikatoren und Verantwortliche aus Politik und Wirtschaft der Region zwei- bis dreimal im Jahr zum konstruktiven Austausch treffen. Und hier ist man inzwischen einig: Der Westerwald brauche eine »zündende Leitidee«, um sein Image zu verbessern. Diese solle auch selbstbewusst den Wert dieser Region zum Ausdruck bringen, so Hering. Mithin dürfe sich der Westerwald nicht länger »seine Bescheidenheit leisten«. Schließlich wäre man »nicht irgendeine, sondern d i e Region mitten in Europa«, betont der Landtagspräsident.

Um dem Westerwald »ein starkes Profil« im interregionalen Wettbewerb zu geben und ihn somit wieder anziehender für Neuansiedlungen zu machen, soll der Landkreis vor allem an vier Stellen nachrüsten: beim Bildungsangebot, beim Schaffen von Lebensqualität, die junge Fachkräfte anlockt, durch eine bessere Verkehrsanbindung sowie nicht zuletzt durch eine stabile Breitbandversorgung. Denn der momentane Zustand in Sachen Internetstabilität erzeugt, wie das IHK ermittelte, derzeit die größte Kritik in der Unternehmerschaft. »Was die Region braucht, ist ein systematischer Umstieg auf ein Glasfasernetz«, so Kammerpräsidentin Susanne Szczesny-Oßing. Doch bisher seien diesbezüglich nicht einmal die Gewerbegebiete flächendeckend versorgt.

Um der Landflucht zu begegnen, soll es zudem gelingen, die markanten Dorfkerne, die dem Westerwald sein Gepräge geben, zu erhalten. Wie diese einst aussahen, zeigt am anschaulichsten das Landschaftsmuseum Westerwald. Dies bettet sich recht reizvoll in einen Park am Ortsrand von Hachenburg und macht mit seinen acht typischen bäuerlichen Wohn-, Werkstatt und Lagergebäuden die Kulturgeschichte dieses Mittelgebirges vom 18. bis 20. Jahrhundert erlebbar. Selbst eine Dorfschule, in der alle Schüler gemeinsam in einem Raum unterrichtet wurden, fehlt nicht.

Im kommenden Jahr will das Westerwald-Forum nun erste Ergebnisse eines Forschungsprojektes vorstellen, wie sich das Land der »Wäller« für die Zukunft aufstellen könnte. Zumindest ein Leuchten gibt es schon am Horizont: Die Bevölkerung wächst langsam wieder.

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