Im Banne des Vergangenen
Die Dresdner Semperoper landet mit Erich Wolfgang Korngolds Oper »Die Tote Stadt« einen Coup
In Dresden steht die Vergangenheit hoch im Kurs, was verschiedene Gesichter hat und heutzutage nicht immer das pure Wohlbehagen erzeugt. In der Semperoper gehört der Blick zurück aber zum Sinn und Zweck des Hauses. Dazu zählen Wiederbegegnungen ebenso wie jetzt die späte Rückkehr von Erich Wolfgang Korngolds Oper »Die tote Stadt«, einem schwelgerischen Werk mit zwei unverwüstlichen Ohrwürmern: »Glück, das mir verblieb …« und »Mein Sehnen, mein Wähnen, …«. Dazu ein musikalisches Drumherum aus dem Graben und auf der Bühne, das ohne Weiteres mit den großen Opern von Richard Strauss oder Puccini mithalten kann.
Als diese Oper 1920 parallel in Köln und Hamburg uraufgeführt wurde, war der Komponist gerade mal 23 Jahre alt. Allerdings stand Korngold längst unter Genieverdacht und war als Wunderkind etabliert. Seine Karriere endete in Deutschland mit dem zur Staatsdoktrin gewordenen Rassenwahn der Nazis. Der jüdische Komponist ging in die USA nahm sich der Entwicklung der Filmmusik in Hollywood an. Mit der metaphorischen »toten Stadt« ist das reale Brügge gemeint - oder auch dessen symbolistische Überhöhung in Georges Rodenbachs Roman »Bruges-la-Morte«, aus dem Korngolds Vater unter Pseudonym das Libretto geschöpft hat.
Paul kommt nicht über den Tod seiner Ehefrau Marie hinweg. Er hat sich im morbiden Brügge eine »Kirche des Gewesenen« eingerichtet, ihr Bild und eine Haarsträhne zum Altar gemacht, die Fenster zugezogen. So düster gruftig, wie das klingt, so sieht die Bühne bei Patrick Bannwart auch aus. Der Name Marie ist an die Wand eines riesigen Raumes gesprayt, manchmal taucht ihr Bild als Negativvideo an der Wand auf. Dort ist auch die musikalisch aufgedonnerte Prozession als Schattenspiel zu sehen. Paul lebt in den Ruinen seines Lebens. Er wird von blonden Zombies heimgesucht und einmal füllen sage und schreibe 128 Kilometer blonde Haare den ganzen Bühnenraum.
Als ihm die lebenslustige Marietta über den Weg läuft, die der Toten ähnelt, wird für Paul daraus eine Art Wiedergängerin. Die junge Tänzerin, die hier einbricht, kann natürlich dem Vergleich mit der Toten nicht standhalten. Es geht so weit, dass Paul sie erwürgt - was sich allerdings als ein Tagtraum herausstellt. Denn in der letzten Szene sieht wieder alles aus wie zu Beginn. Samt der Haushälterin Brigitta, die den Besuch jener jungen Frau ankündigt, von der man zwischendurch mal befürchten musste, dass sie die Begegnung mit Paul nicht überlebt hat. Sie hat. Sie könnte seine Rückfahrkarte ins Leben sein. Bei Regisseur David Bösch, der sich recht unverstellt an die Vorlage hält, wird sie es nicht. Als alles vorbei ist und Paul von seinem Freund aufgefordert wird, mit ihm gemeinsam abzureisen, findet er unter dem Teppich doch noch eine Haarsträhne und bleibt mit damit am Boden liegen.
Musikalisch ist diese Produktion ein Wurf! Das gilt für die Sächsische Staatskapelle, die Korngolds schwelgerischer Musik unter Leitung von Dmitri Jurowski ihre unbestrittene Kompetenz als Strauss-Orchester borgt. Dazu kommt eine Besetzung, die mit Burkhard Fritz als standfestem, aber auch zur Melancholie fähigem Paul und mit Manuela Uhl als lebenslustiger Marietta die beiden Hauptpartien exzellent ausstattet. Glücksfälle sind Christa Meyer als Haushälterin Brigitta und Christoph Pohl in der Doppelrolle als Pauls Freund Frank und als Mariettas Künstlerkollege Fritz.
Einhelliger Jubel für eine grandiose Premiere.
Nächste Vorstellung am 20.12.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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