Abgehängt trotz Heimatministerium
Bayern verzeichnet große regionale Lohnunterschiede - die Regierung tut zu wenig dagegen, sagen Kritiker
Es war anfangs nicht mehr als ein diffuses Gefühl, das Ruth Müller bei ihrer politischen Tätigkeit immer wieder begegnete. Die SPD-Landtagsabgeordnete hat ihren Wahlkreis in Niederbayern, einem Regierungsbezirk, der viele ländliche Regionen aufweist. Bei dessen Bürgern drängte sich regelmäßig der Eindruck auf, dass sie weniger Einkommen erwirtschaften als Menschen, die in größeren Städten wohnen - zum Beispiel in der Landeshauptstadt München, gut 70 Kilometer von der Bezirkshauptstadt Landshut entfernt.
Tatsächlich ist das keine bloße Einbildung. Laut Zahlen des Sozialministeriums, die Müller erfragt hat, weichen Löhne und Gehälter teils erheblich voneinander ab. Arbeitnehmer in Oberbayern kamen demnach 2015 auf ein verfügbares Einkommen pro Kopf von durchschnittlich 25 868 Euro, während die Menschen in der Oberpfalz gerade einmal 21 592 Euro erzielten. Die beiden Bezirke Niederbayern und Oberfranken lagen mit einem Gesamteinkommen von 21 830 beziehungsweise 22 248 Euro nur unwesentlich höher. Die Steuer- und Sozialabgaben sind aus den angegebenen Beträgen bereits herausgerechnet.
Einerseits sind diese erheblichen Gehaltsdifferenzen zwar ein logischer Effekt. In Großstädten wie München oder Nürnberg leben schlicht mehr Menschen, es gibt eine größere Vielzahl von hochbezahlten Arbeitsplätzen, mehr Bildungsangebote sowie höhere Lebensunterhaltungskosten, etwa durch die vielerorts kaum noch bezahlbaren Mieten. So müssen Betriebe automatisch ein höheres Einkommen bezahlen, um attraktive Arbeitsplätze für gut ausgebildete Mitarbeiter zu bieten. Außerdem sind die Metropolen seit jeher starke Wirtschaftsstandorte, in denen sich weltweit bedeutende Unternehmen niedergelassen haben.
Doch andererseits lassen sich die Unterschiede nicht allein mit derartigen Gründen erklären, sagt Ruth Müller. Für die SPD-Politikerin sind die Zahlen auch ein Beweis für die Schwäche des ländlichen Raums, dessen gezielte Förderung noch immer mangelhaft sei. Eigentlich hatten die Bürger 2013 per Volksentscheid in die Verfassung schreiben lassen, dass der Freistaat »gleichwertige Lebensverhältnisse« zu fördern und zu sichern hat - in der Stadt und auf dem Land.
Die Regierung hat seitdem einiges unternommen, um diesen Forderungen nachzukommen. Vor allem Markus Söder (CSU), Finanzminister und wohl bald Ministerpräsident, spielte dabei eine zentrale Rolle. Er erweiterte seine Zuständigkeit 2014 um ein neu geschaffenes Heimatministerium mit Sitz in Nürnberg, dessen Schwerpunkt die Förderung des ländlichen Raums sowie der Breitbandausbau wurde. Zugleich strebte die Staatsregierung vermehrt Behördenverlagerungen aus München weg an, um mit gutem Beispiel voranzugehen und dort attraktive Arbeitsplätze anzubieten. Als Beispiele können der geplante Bau eines Gefängnisses in Marktredwitz mit 420 Arbeitsplätzen oder die Teilverlagerung des Gesundheitsministeriums nach Nürnberg dienen.
Nur geht dies Kritikern nicht weit genug. »Es reicht nicht aus, wenn man Landesbehörden in die ländlichen Regionen verlegt«, sagt Müller. Langfristig müsse der Freistaat geeignete Maßnahmen ergreifen, um private Unternehmen ebenfalls anzusprechen. »Man muss Firmen bei Unternehmensansiedlungen in diesen Gegenden fördern und unterstützen.« Dazu bedürfe es vorwiegend einer professionellen Infrastruktur, einschließlich eines gut ausgebauten Internets.
Müller verdeutlicht das am Beispiel der niederbayerischen Gemeinde Vilsbiburg, einer knapp 11 000 Einwohner starken Kommune im Landkreis Landshut. Dort haben sich gleich zwei große Unternehmen angesiedelt, die für die lokale Wirtschaft von entscheidender Bedeutung sind. Der Grund: Vilsbiburg verfügt über eine vergleichsweise gute Infrastruktur, hat eine Realschule und ein Gymnasium sowie ein eigenes Krankenhaus. Es bietet damit attraktive Bedingungen, die Fachkräfte von diesem Standort überzeugen.
Auf ein solches Rundum-Angebot komme es an, sagt Müller. Und: »Zur räumlichen Gerechtigkeit gehören eine gute medizinische Versorgung, eine professionelle Betreuung für Kinder, gute Bildungsangebote und ein funktionierender Öffentlicher Personennahverkehr. Wenn das vorhanden ist, kommen auch die Betriebe, bleiben in den Regionen und entwickeln sich.« Dabei müsse das Heimatministerium von Söder stärker mit dem Wirtschaftsministerium von Ilse Aigner (CSU) kooperieren, im jüngsten Münchner Machtkampf eine parteiinterne Widersacherin Söders.
Gemeinsam sollten sie Maßnahmen ergreifen, so Müller, »um die nötige Infrastruktur zu schaffen und den ländlichen Raum als attraktiven Arbeitsplatz zu bewerben.« Im Rahmen dieser Strategie kann sich die SPD-Politikerin auch die Unterstützung »junger Start-Ups« vorstellen, die bei einer guten technischen und räumlichen Förderung wiederum junge Menschen ins Land locken würden. »Das wäre eine Investition, die sich lohnt, denn langfristig würden die nötigen Gelder wieder zurück in die Staatskasse fließen - in Form von Gewerbe- und Einkommenssteuer«, sagt Müller.
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