Polens Justizreform läuft weiter
Proteste bis hin zur Selbstverbrennung eines Regierungskritikers verpuffen
Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat seit ihrem Amtsantritt im Herbst 2015 mehrere Reformen durchgesetzt, die von der EU sowie zuletzt auch von UN-Berichterstattern als verfassungswidrig eingestuft wurden. Erst im Juli dieses Jahres demonstrierten Tausende Polen gegen ein Projekt, das dem umstrittenen Justizminister Zbigniew Ziobro die willkürliche Ernennung bzw. Entlassung aller leitenden Richter ermöglicht hätte.
Bis dahin konnte die Partei von Jaroslaw Kaczynski beinahe zwei Jahre ungestört Einfluss auf die Justiz nehmen. Nachdem der trotzige Gerichtspräsident Andrzej Rzeplinski Ende 2016 in den Ruhestand geschickt wurde und der völligen Unterwerfung des Verfassungsgerichts nichts mehr im Wege stand, versuchten die Nationalkonservativen auch nach dem Obersten Gericht (SN) und dem Landesjustizrat (KRS) zu greifen. Was die Prozesse der Entmachtung sowohl des Trybunal Konstytucyjny als auch des KRS gemeinsam haben, sind zahllose üble Delegitimationsversuche der bisherigen Richterschaft und insbesondere der Vorsitzenden dieser Organe im öffentlichen Diskurs.
Ins Kreuzfeuer der Kritik regierungsnaher Medien geriet kürzlich erneut KRS-Pressesprecher Waldemar Zurek, der sich weigerte, die von Ziobro nominierten Assessoren an den Gerichten zuzulassen. Es ist nicht der erste politische Nackenschlag für den ambitionierten Minister. Als die vom Justizressort vorbereiteten Gesetzesentwürfe im Sommer in Polen und Europa hohe Wellen schlugen, hat Staatsoberhaupt Andrzej Duda von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht und der Beschneidung des KRS und SN ein Ende gesetzt. Zwar haben die Ambitionen seines einstigen Rivalen Ziobro einen empfindlichen Dämpfer erhalten, so doch gewiss nicht die von der PiS eingeleitete Revolution. Seit dem Veto-Schock gastiert Parteichef Kaczynski allwöchentlich im Präsidentenpalast, um den internen Streit zu schlichten und mit Duda ein gemeinsames Reformpapier auszuarbeiten.
Nicht nur die Opposition glaubt, dass die blockierten Projekte in einer unzureichend veränderten Form letzten Endes durch die Kammern des Parlaments durchgepeitscht werden. Mitte Oktober hat sich der 54-jährige Piotr Szczesny aus Protest gegen die Politik der PiS vor dem Kulturpalast in Brand gesteckt und war wenige Tage später verstorben, am gestrigen Dienstag wurde er in Krakau bestattet. Laut eigenem Bekunden wollte er seine Landsleute endlich »wachrütteln«. Doch bleiben Zweifel, dass er dies geschafft hat. Trotz der jüngsten Ereignisse würde die PiS nach aktuellen Umfragen abermals gewinnen und die absolute Mehrheit erlangen. Auch Staatschef Duda lässt in den Rankings gegenwärtig alle potenziellen Gegner hinter sich.
Dabei haben die polnischen Wähler seit Lech Walesas Bruch mit seiner Bewegung stets allergisch auf innerparteiliche Konflikte reagiert und brachten dies beim Urnengang auch zum Ausdruck. Der frühere Außenminister Radoslaw Sikorski (PO) behauptet in seinem letzten Interview mit der »Zeit«, der Konflikt in der PiS würde der Bürgerplattform helfen. Das stimmt nicht. »Bei der jetzigen wirtschaftlichen Konjunktur wird die PiS auch künftig zulegen, aber nicht deswegen, weil sie für den Wähler attraktiver wird. Das Problem ist eher die liberale Opposition, die auf totale Abgrenzung setzt, statt einen transparenten Plan vorzulegen«, meint der Soziologe Jaroslaw Flis.
Die Funktion der Opposition hat demnach Duda übernommen, der in den Augen vieler Polen den Radikalismus der Kaczynski-Partei zu bändigen vermag. Diese Rollenaufteilung scheint bei den Wählern momentan auf Anklang zu stoßen. Diejenigen wiederum, die früher für die liberalen Parteien gestimmt haben und sich heute offen zu PiS bekennen, tun dies folglich nicht aus Sympathie für Ziobro oder Kaczynski. Sie tun es als Nutznießer einer aus ihrer Sicht »gerechteren« sozialen Politik. »Vielen geht es heute besser, und solange an der Spitze des Staates jemand steht, der die Energie der Regierung zu mäßigen weiß, verliert die Opposition ihre Daseinsberechtigung«, glaubt der Publizist Tomasz Wroblewski. Doch ob dies auch zutrifft, wird sich herausstellen, wenn schließlich die neuen Justizgesetze vorliegen. Bis dahin wird Kaczynski nach Dienstschluss gewiss noch mehrmals mit seiner Limousine am Präsidentenpalais vorfahren.
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