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Fetzen auf Wiedervorlage
Es sieht nicht gut aus für eine Jamaika-Koalition, aber Angst vor Neuwahlen hält die Beteiligten zusammen
Selbst über die Form der Niederschriften gab es anfangs Uneinigkeit. Eine Protokollierung der Sondierungsrunden von Union, FDP und Grünen lehnten die Liberalen ab. Zu groß sei die Gefahr, dass Teile davon an die Öffentlichkeit durchgestochen würden, um die Gespräche durch den so erzeugten öffentlichen Druck zu beeinflussen. Die Sondierungen für eine Jamaika-Koalition galten von Anfang an als Wagnis. Dieses wird gemindert durch die Entschlossenheit der potenziellen Koalitionäre. Ein wichtiger Grund: Die Alternative heißt Neuwahlen, nachdem die SPD die Rekrutierung als Juniorpartner einer Großen Koalition ausgeschlossen und sich in ihrer Rolle als Oppositionsführerin im Bundestag eingerichtet hat. »Ob das die bessere Alternative ist, das möchte ich mal bezweifeln«, warnte schon mal der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen. »Schließlich können wir ja nicht dieses Volk so lange wählen lassen, bis es uns gefällt.« In einem Scheitern sähe Kretschmann eine Katastrophe, wie er bekannte.
Zwei Wochen nach Beginn hat sich nun bestätigt, dass die Sondierungen kein Zuckerschlecken für die Beteiligten sind. Man habe nunmehr alle wichtigen Themen sowie die unterschiedlichen Bewertungen der Parteien hierzu gesammelt, nun folge in der zweiten Phase die Suche nach Annäherungen, versuchte FDP-Chef Christian Lindner die Erwartungen der Journalisten am Freitag zu kanalisieren. Bisher sei es noch nicht um Lösungen und Gemeinsamkeiten gegangen; solche seien, wo es sie gab, allenfalls »Kollateralnutzen« gewesen.
Die Aussichten auf Erfolg sind nicht wirklich besser als zu Beginn. Von zwölf als Regierungsschwerpunkte identifizierten Themenkomplexen, die inzwischen alle einmal gemeinsam durchdekliniert wurden, waren am Freitag acht in Arbeitspapieren niedergelegt, zu den anderen waren die Differenzen zu groß selbst für eine gemeinsame Definition der Probleme. Vor allem umstritten sind die Felder Haushalt und Finanzen, Migration und Flüchtlinge sowie der Bereich Klimaschutz mit Verkehr, Landwirtschaft und Energie. Diese Themen zählte Grüne-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt als die »großen Brocken« auf, die nun aus dem Weg geräumt werden müssten.
Ob dies eine realistische Hoffnung ist, vor allem angesichts der verbleibenden zwei Wochen, das ist die große Frage. Nach dieser Frist wollen die Parteien ihre Gremien darüber befinden lassen, ob Koalitionsgespräche begonnen werden sollten. Die Grünen haben am 25. November gar einen Parteitag dafür anberaumt. Bayerns FDP-Chef Albert Duin jedenfalls räumt dem Versuch kaum eine Erfolgschance ein. »Jamaika ist eine Totgeburt«, sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland und machte den »ideologischen Hypermoralismus« der Grünen dafür verantwortlich. Duin prophezeite: »Wir werden monatelang eine geschäftsführende Bundesregierung unter Angela Merkel erleben, bis sich die Aufregung um die AfD gelegt hat. Und dann gibt es Neuwahlen.«
Solch ein rigoroses Urteil ruft bei den Unterhändlern wenig Freude hervor, Lindner wiegelte mit der Bemerkung ab, Duin habe an nicht einer Gesprächsrunde teilgenommen. Er könne nicht Bescheid wissen, sollte dies wohl bedeuten. Doch manche bekannt gewordenen Kommentare aus diesen Runden sind durchaus angetan, die Zweifel Duins nachzuvollziehen. Die Fetzen seien geflogen, hieß es da, und die Runde über Einwanderung und Flüchtlinge platzte gar vollends, die Teilnehmer schieden im Streit. Erst ein Spitzentreffen am Wochenende konnte die Reihen der Streithähne wieder ordnen. Das Thema wartet nun auf Wiedervorlage in der nächsten Woche.
Die Positionen liegen auf vielen Feldern weit auseinander. Während die FDP von Steuererleichterungen träumt, wies Jürgen Trittin von den Grünen auf einen Investitionsstau von 100 Milliarden Euro in Deutschlands Kommunen und einen Pflegenotstand hin. Überhaupt Trittin. Noch kurz vor den Sondierungen hatten die Spitzenkandidaten Göring-Eckardt und Cem Özdemir zunächst nicht bestätigen wollen, dass Trittin an den Gesprächen teilnehmen werde. Dass er nun dabei ist, kann als Selbstschutz der Spitzenkandidaten gelten, die wohl nicht riskieren wollen, die Verantwortung für das Ergebnis der Sondierungen gegenüber der Partei allein zu tragen. Für Trittin ist dies freilich auch ein Risiko. Denn einen Kompromiss, der die Partei überfordert, wird diese zuerst ihm als Parteilinkem ankreiden. Die Union dürfte allerdings von seiner Teilnahme am wenigsten begeistert gewesen sein. Nach den Sondierungen vor vier Jahren warf sie ihm vor, unannehmbare Forderungen gestellt und die Gespräche damit platzen lassen zu haben. Ergebnis war die Große Koalition. Heute gilt die nun als ausgeschlossen. Kommentar Seite 2
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