Der Kumpel im Käfig

Das Deutsche Hygiene-Museum fragt, wie der Mensch auf Hund & Co. gekommen ist

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.

Loriot hatte zum Thema Heimtier eine klare Meinung. »Ein Leben ohne Möpse«, sagte er, »ist möglich, aber sinnlos.« Der Humorist und Alltagsphilosoph gab seinem Leben Sinn und teilte es mit Möpsen. Viele denken wie er; der Mops ist gerade schwer in Mode. Und selbst wer kein Faible für wurstförmige und schnaufende Hunde hat, will doch oft genug nicht auf Gesellschaft von Tieren verzichten. 30 Millionen Hunde, Katzen, Wellensittiche, Guppys und Goldhamster leben allein in deutschen Stuben.

Wohlgemerkt: In Stuben, nicht in Ställen. Dort hatten Tiere seit Zehntausenden Jahren ihr Domizil: Kühe, die Milch gaben, Hühner, die Eier legten, Pferde, die Wagen zogen oder im Göpel eines Silberbergwerks im Kreis trotteten. Tiere, die domestiziert worden waren, weil sie unmittelbaren Nutzen brachten - die aber im 19. Jahrhundert zunehmend durch Maschinen ersetzt wurden, wie Thomas Macho anmerkt. Es war auch, sagt der Wiener Kulturwissenschaftler, jene Zeit, ab der Menschen vermehrt in Städten lebten, sich so quasi selbst in naturferne Habitate einleben mussten - und die Natur in ihre Wohnungen holten: nicht mehr in Form von Taube und Schwein, sondern von Kanarienvogel oder Meerschwein; als, wie Macho sagt, »Accessoire und Ornament« ihres neuen Lebens.

Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden widmet dieser Art Haustieren jetzt eine Sonderausstellung mit dem Titel »Tierisch beste Freunde« - und setzt im ersten Raum Machos These in ein Bild um: Aus einem großen Perserteppich, der einen Hauch von 19. Jahrhundert verströmt, ragt ein Felsen, auf dem sich die Urahnen der heutigen Haustiere tummeln. Das Teppichmuster hat Ausstellungsgestalter Detlev Weitz zunehmend mit Spuren der Katzen, Hunde und Vögel überlagert: Die tierischen Mitbewohner prägen den Lebensraum ihrer Besitzer.

Was aber haben Tiere, und sei es auch ihre »Heimversion«, überhaupt in einem Haus zu suchen, das sich als »Museum vom Menschen« versteht? Die Haustiere sind ein Teil von dessen Existenz, sagt Kuratorin Viktoria Krason: eine »Verkörperung unserer Sehnsüchte, Ängste und Träume«. Sie werden zudem als Helfer in fast allen Lebenslagen gesehen. 37 Prozent der Besitzer von Haustieren in den USA sehen diese als Beschützer, 25 Prozent weisen ihnen eine Rolle als Therapeut zu, 33 Prozent haben sie wegen der Kinder. Für immerhin 66 Prozent aber ist der Hund, die Katze oder der Sittich der »best friend«, der beste Freund.

Es ist freilich, auch das macht die Ausstellung deutlich, ein eher spezielles Verständnis von Freundschaft; ein Verhältnis, das gleichermaßen auf Macht basiert und recht einseitig ausgeprägt ist: Die vermeintlich besten Freunde und Kumpel werden an die Leine genommen oder in Käfige gesperrt, und selbst Loriots Mops hat sich vermutlich nicht selbst entschieden, bei diesem einzuziehen.

Es ist zudem eine Freundschaft, die nur ausgewählten Tieren angeboten wird. »Die arme Sau wird industriell getötet, der liebe Hund erhält nach seinem Ende womöglich gar eine Todesanzeige«, sagt Klaus Vogel, der Direktor des Dresdner Museums. Von der »großen Ambivalenz« der Tierliebe schreibt Clemens Wischermann in einem sehr lesenswerten Begleitbüchlein. Die Koteletts, zu denen die »arme Sau« verarbeitet wird, werden beim Discounter im Sonderangebot gekauft; für den Liebling zu Hause indes dürfen Futter und Spielzeug gern etwas mehr kosten. 47,47 Euro wurden in Deutschland pro Kopf im Jahr 2013 für Heimtierbedarf ausgegeben. In Frankreich waren es gar 63,63 Euro, in Polen indes nur 14,83 Euro. Überhaupt belegen Statistiken, dass die kostspielige Hege von Heimtieren ein Luxus ist, den sich vor allem Bewohner der industrialisierten westlichen Welt leisten. Während in Nordamerika in einem Jahr 40,8 Milliarden Euro für Heimtierbedarf aufgewendet wurden und in Westeuropa 24,7 Milliarden, waren es in ganz Afrika nur 888 Millionen.

Die Dresdner Schau zeigt, dass für Schoßhündchen & Co. schon in früheren Zeiten nichts teuer genug war. Zu den skurrilsten Exponaten gehört ein verzierter Zwitter aus Aquarium und Vogelkäfig, der so konstruiert ist, dass sich das Vögelchen zwischen die Goldfische begeben kann. Sie illustriert aber darüber hinaus die These, dass Haustiere inzwischen zunehmend auch als vollwertige Familienmitglieder angesehen werden - mit Namen, wie sie oft auch ein Kind tragen könnte; mit eigenem Impfpass, im Alter mit einer künstlichen Hüfte und nach dem Tod mit einem Plätzchen auf einem Tierfriedhof - und einer Traueranzeige im Lokalblatt. Noch 2004, erinnert Wischmeier, sorgte ein solches Inserat für den Kater Jasper in der Schweiz für einen Skandal. Als 2016 im Kölner Stadtanzeiger eine - in der Schau ausgestellte - ähnliche Anzeige für den Hund Karlchen erschien, krähte kein Hahn danach.

Am Ende ermöglicht es die Dresdner Schau ihren Besuchern sogar, sich in die Rolle ihrer tierischen Mitbewohner zu begeben. In einem Vogelkäfig können sie auf der Stange Platz nehmen und durchs Gitter schauen; in einem Aquarium können sie mittels einer Virtual-Reality-Brille nachempfinden, wie ihre Guppys die Welt sehen - und was passiert, wenn an die Scheibe geklopft wird. Man dürfte das in Zukunft tunlichst unterlassen.

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