»Was sich nicht rechnet, hat ein Problem«

Die Hamburger Architektin Kristina Sassenscheidt will verhindern, dass die Hansestadt ihr Gesicht verliert

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 2 Min.

Aufgewachsen ist Kristina Sassenscheidt in Hamburg-Eppendorf, wo ihre Eltern Mitte der 1970er Jahre eine WG gegründet hatten: »Damals war der Stadtteil noch bezahlbar und zog viele Studenten und Künstler an.« Bis heute erinnere sie sich an viele schöne Details der Jugendstilwohnung, wie historische Fenster oder Fischgrätparkett. Vielleicht ist das ja der Grund, warum die heute 40-Jährige das Alte und Gewachsene so liebt und sich als Vorsitzende des Denkmalvereins Hamburg für dessen Erhalt einsetzt. »Die Stadt verändert ihr Gesicht wegen des aktuellen Entwicklungsdrucks unglaublich schnell und bedroht dadurch ihre architektonische Vielseitigkeit und das gewachsene Stadtbild«, sagt die Mutter eines zweijährigen Sohnes. Als Treffpunkt für unser Gespräch hat sie das in einem »schönen alten Gelbklinkerbau« untergebrachte Café Sein in der Hospitalstraße gewählt. Dort überrascht die studierte Architektin mit ihrem Credo: »Mich interessieren Altbauten und ihre Geschichte mehr als das Entwerfen neuer Gebäude.«

Dass diese Aussage kein rückwärtsgewandtes Bekenntnis ist, hat sie mit ihrem Engagement im wieder aufblühenden historischen Gängeviertel und mit der Mitbegründung der Internetplattform www.leerstandsmelder.de unterstrichen. Unbewohnter Mietraum in einer wachsenden Stadt - für die umtriebige Aktivistin mit rund 2000 Kontakten im Smartphone geht das überhaupt nicht.

Kristina Sassenscheidt hat im Jahr 2005 ihr Architekturstudium an der TU Berlin mit einer Diplomarbeit zu »Industrieumnutzungen in Hamburg« abgeschlossen. Nach Jobs in PR- und Eventagenturen heuerte sie zwei Jahre später im Denkmalschutzamt der Stadt Hamburg an und baute dort die Öffentlichkeitsarbeit auf. Seit Anfang 2016 ist sie verantwortlich für Projektsteuerung in der Genossenschaft fux eG, die die ehemalige Viktoria-Kaserne in Altona zu einem Ort für Kultur, Bildung und Produktion umbaut. Die einstige »militärische Trutzburg«, sagt die Denkmalvereinschefin, soll mit neuem Leben gefüllt werden: »Ziel ist es, erschwingliche Arbeits- und Atelierräume zu schaffen, die nicht mehr als fünf Euro Kaltmiete kosten.«

Ob im Beruf oder im Ehrenamt - unermüdlich kämpft Kristina Sassenscheidt gegen die Geschichtsvergessenheit an, der viele Hamburger Gebäude aus der Gründerzeit, aus der Nachkriegsmoderne und zuletzt aus den 1970er Jahren schon zum Opfer fielen: »Hamburg ist vom Kaufmannsgeist geprägt. Was sich nicht rechnet, hat ein Problem.« Dies gelte besonders für Altbauten, die durch gesichtslose Neubauten ersetzt wurden. »Wenn das so weiter geht«, seufzt Sassenscheidt, »dann sieht Hamburg bald aus wie Bielefeld.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -