Türkei schickt Erkundungsteam nach Syrien

Erkundungsteam traf sich mit Vertretern von Hairat Tahrir al-Scham, das hauptsächlich aus der Nusra-Front besteht

  • Karin Leukefeld, Damaskus
  • Lesedauer: 3 Min.

Anders als von vielen Medien berichtet, ist die türkische Armee bisher nicht in die syrische Provinz Idlib einmarschiert. Der Truppenaufmarsch findet derzeit auf der türkischen Seite der Grenze statt. Nach Mitteilung der Armeeführung überquerte am Sonntag lediglich ein Erkundungsteam mit hochrangigen Militär- und Geheimdienstkräften den Al Atmeh Grenzübergang. Ziel sei es gewesen, Stützpunkte zu markieren, von denen man die Kontrolle und Sicherung des Deeskalationsgebietes Idlib vornehmen wolle. Mit Russland und Iran gehört die Türkei zu den Garantiemächten des Astana Abkommens, das für Syrien vier Deeskalationsgebiete vorsieht. Ausgenommen von der Vereinbarung sind der selbst ernannte »Islamische Staat« (IS) sowie die Nusra-Front.

Die Türkei trägt für eine Befriedung in Syrien eine besondere Verantwortung, weil Ankara - in Absprache mit den USA, Golf- und NATO-Staaten - seit 2011 Kampfverbände gegen die syrische Regierung und Armee aktiv unterstützt, bewaffnet und finanziert hat. Zwischen »IS« und Türkei entwickelte sich ein lebhafter Handel mit Öl, Weizen, gestohlenen Maschinen und geplünderten antiken Kunstgütern. Die türkische Stadt Gaziantep gilt als sicherer Rückzugsort für den »IS«.

Im Frühjahr 2015 stürmte eine »Armee der Eroberung« aus der Türkei in die nordwestsyrische Provinz Idlib und brachte die syrische Armee an den Rand ihrer Möglichkeiten. Ausgerüstet waren die bis zu 10 000 Kämpfer mit modernsten lasergesteuerten TOW-Raketen US-amerikanischer Herkunft. Erst mit dem Eingreifen der russischen Armee haben sich die militärischen Kräfteverhältnisse deutlich gewendet. In blutigen Verteilungskämpfen hat sich die Nusra-Front seitdem in Idlib - vor allem mit Unterstützung aus der Türkei und Katar - als stärkste militärische Kraft durchgesetzt. An Grenzübergängen und strategischen Verbindungsstraßen in die Türkei kassiert sie Gebühren und kontrolliert die Verteilung von medizinischen und anderen Hilfsgütern.

Ihre Mitgliedschaft bei Al Qaida hat die Nusra-Front offiziell gekündigt und mehrmals ihren Namen geändert. Das Ziel, aus Syrien einen Gottesstaat zu machen, blieb. Aktuell firmiert die Gruppe unter dem Namen »Hairat Tahrir al-Scham« (HTS), Bündnis für die Eroberung von Syrien. Die meisten Bündnispartner haben sich allerdings wieder abgesetzt, so dass HTS kaum mehr ist, als ein weiterer Name für die Nusra-Front. Die Zahl ihrer Kämpfer wird derzeit auf rund 20 000 geschätzt.

Ausgerechnet mit HTS traf sich nun das türkische Erkundungsteam am Sonntag. Videos zeigen die türkischen Militärfahrzeuge eingebettet in einen Konvoi mit bewaffneten und beflaggten Fahrzeugen der Nusra-Front. Beim HTS-Stützpunkt Darat Al Issa, westlich von Aleppo, stoppte der Konvoi längere Zeit, vermutlich für eine Besprechung. Möglicherweise will die Türkei mit HTS kooperieren und deren Stützpunkte entlang der Frontlinie zu Afrin übernehmen. Im Gegenzug könnte es politische Zusagen für HTS im Rahmen einer Befriedung der Provinz Idlib geben.

Der syrische Außenminister Walid Mouallem erklärte, Syrien habe allen Grund, der Türkei zu misstrauen. Die Umsetzung des Deeskalationsabkommen für Idlib sei für Ankara eine »Prüfung«. Die Kampfgruppen müssten die Waffen abgeben oder Syrien verlassen. Mouallem, der am Montag zu Gesprächen mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow nach Sotschi reiste, machte klar, dass Syrien türkischer Truppen in Idlib ablehnt.

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