»Eins zu eins lässt sich nichts übertragen«

IG-Metaller Heinz Bierbaum über das Verhältnis von Gewerkschaften und selbstverwalteten Betrieben in Deutschland und Argentinien

  • Jürgen Vogt
  • Lesedauer: 3 Min.

Herr Bierbaum, in Argentinien und anderen Ländern Lateinamerikas gibt es sehr viel mehr Belegschaftsbetriebe als in Deutschland. Salopp gefragt: Heißt von Argentinien lernen, siegen lernen?
Mein wichtigster Eindruck ist, dass es hier sehr solidarisch zugeht, dass man offen ist und sich für die anderen auch tatsächlich interessiert. Es wird hier zudem alles viel stärker in einen politischen Kontext gestellt als bei uns. Dass die Bewegungen hier dabei sehr viel kämpferischer auftreten, sollte uns jedoch nicht überraschen. Mit vorschnellen Vergleichen sollten wir aber sehr vorsichtig sein. Wir müssen zunächst einmal verstehen, unter welchen Bedingungen diese Initiativen und Betriebsübernahmen stattgefunden haben. In Lateinamerika und gerade in Argentinien schlägt das neoliberale Wirtschaftsmodell deutlich brutaler zu, als es bei uns der Fall ist. Bei einer Betriebsschließung stehen die Menschen hier ja buchstäblich vor dem Nichts, was dann eben auch zu dieser unmittelbaren Solidarität führt. Die ist beeindruckend.

Sie haben an dem »6. Internationalen Treffen der Arbeiterökonomie« teilgenommen. Wo lagen für Sie die Stärken des Treffens?
Die Stärke war eindeutig der Erfahrungsaustausch zwischen den verschiedenen Bereichen und die Breite, die hier vertreten war. Das war aber zugleich auch eine Schwäche, weil man zu wenig fokussiert hat. In der Theorie heißt es gewöhnlich, dass kapitalistische Unternehmen hierarchisch strukturiert sind und die Belegschaftsbetriebe und die ganze Selbstverwaltung für sich in Anspruch nimmt, mehr horizontale Strukturen zu haben, die mehr auf Kooperation ausgerichtet sind. Dabei wurde aber wenig über das Verhältnis debattiert, ökonomisch überleben zu müssen und gleichzeitig neue Formen von Betriebsorganisationen und Arbeitsorganisationen zu praktizieren, die ein höheres Maß an unmittelbarer Beteiligung vorsehen. Denn dass die meisten erhebliche Probleme haben, wurde ja klar.

Es wurde deutliche Kritik an den traditionellen Gewerkschaften geübt. Viele der Initiativen fühlen sich von den Gewerkschaften nicht vertreten und versuchen einen eigenen Zusammenschluss zu entwickeln. Das muss Sie als altgedienten IG-Metaller doch gewurmt haben?
Viele der Initiativen fühlen sich von den Gewerkschaften nicht vertreten und versuchen einen eigenen Zusammenschluss zu entwickeln. Die großen Gewerkschaften, auch die aus Argentinien, waren hier nicht präsent. Es waren einige kleine linke Gewerkschaften vertreten, deren Einfluss in ihren Heimatländern aber sehr beschränkt ist. Viele der Initiativen fühlen sich von den Gewerkschaften nicht vertreten und versuchen, einen eigenen Zusammenschluss zu entwickeln. Und das wirft auch für uns in Deutschland die Frage auf, wie sieht das Verhältnis zwischen den Gewerkschaften und solchen Belegschaftsbetrieben, Belegschaftsübernahmen und Genossenschaften aus. Das spielt bei uns eine zu geringe Rolle und sollte zukünftig stärker thematisiert werden.

Was für politische Schlussfolgerungen ziehen Sie aus dem Kongress?
Ich nehme den Impuls mit, dass das Thema um stärkere Beteiligung, Demokratisierung von Betriebsabläufen und Unternehmenspolitik bei uns stärker in den Fokus gestellt werden muss. Wir müssen in Deutschland die Themen »anders arbeiten« oder »andere Strukturen haben« stärker mit dem Thema Wirtschaftsdemokratie verbinden. Und wir müssen das Verhältnis von Gewerkschaften und betrieblichen Initiativen stärker thematisieren, das ist bei uns unterbelichtet. Aber wir müssen auch von den jeweiligen unterschiedlichen Bedingungen ausgehen, und nichts eins zu eins übertragen. Sonst wird das nichts.

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