Erdogans deutscher Prügelknabe

Botschafter Martin Erdmann wurde zum 17. Mal in Ankara einbestellt. Von Roland Etzel

  • Lesedauer: 4 Min.

Martin Erdmann ist Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Türkischen Republik, und so steif-umständlich wie diese Titulierung ist im Regelfall auch der Umgang beider politischer Körperschaften miteinander. Ein Botschafter hat in seinem Gastland vielfältige Aufgaben und Tätigkeiten. Das meiste davon geschieht nach den strengen Regeln des Diplomatischen Protokolls, bleibt unbemerkt von der Öffentlichkeit, und das soll auch sein: diskret, geräuschlos und in - nach außen hin - perfekter Harmonie mit dem gastgebenden Staat.

Etwa so wäre der Idealzustand bilateraler Beziehungen zu beschreiben. Allerdings: Für den Deutschen Erdmann war das in seinem Job in Ankara nicht annähernd erreichbar. Gewöhnlich trachten Diplomaten danach, bei gefälligen Gelegenheiten im Small-Talk über dies und jenes beide Staaten gemeinsam Betreffende zu parlieren. Nicht oder allenfalls höchst selten war dies der Fall bei Erdmann.

Von Martin Erdmann heißt es, im Verborgenen wirkende Kräfte in präsidialen Vorzimmern hätten ihm, der seit 2015 deutscher Botschafter in Ankara ist, Kontaktaufnahmen zu Regierungsstellen vereitelt. Es schien System dahinterzustecken, war aber nicht verifizierbar. Oder es passierte das genaue Gegenteil davon: Erdmann wurde vom türkischen Außenministerium nicht zum diskreten Gespräch gebeten, sondern demonstrativ und förmlich einbestellt. Dies ist - ganz egal, welche Worte dann wirklich gewechselt werden - eine protokollarisch weit oben fixierte Stufe des gastgeberischen Unmuts und gilt in der Skala der Formen des Protestes als hoch erhobener Zeigefinger.

Erdmann passierte das am Montag dieser Woche bereits zum 17. Mal während seiner Amtszeit in der Türkei und zum zweiten Male innerhalb von 48 Stunden. Hätte das Diplomatische Protokoll eine Rekordliste, so wie Fußball-Ligen Buch führen über Gelbe und Rote Karten - Erdmann wäre wohl deutscher Rekordhalter zumindest in diesem Jahrtausend und stünde auch international ziemlich weit oben.

In den Memoiren wird das einmal ein Glanzpunkt sein, aktuell ist es gleichwohl kein Grund zur Freude. Jüngster Anlass für die protokollarische Vermahnung des Botschafters war, dass die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung, Zukunft« im November eine Arbeitstagung über die Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs plant. Wie stets echauffiert sich die türkische Führung darüber, dass dabei die Vokabel »Völkermord« fallen könnte. Und schlimmer noch: Die Stiftung erwägt wohl sogar, die Geschichte des »Osmanischen Genozid« zur Aufnahme in den Schulunterricht zu empfehlen.

In der Türkei gehört es zur Staatsraison, diese Sicht auf die Dinge aufs Entschiedenste zurückzuweisen, was der zuständige Minister nun erneut getan hat. Das Kapriziöse an den Vorgang ist, dass sich beide Seiten nur über Dritte äußern und auch das nur äußerst verschwommen. Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu zitierte türkische Diplomaten, die über die Einbestellung Erdmanns berichteten, ohne den Grund dafür zu nennen. Auch Erdmann hat keine eigene Stimme. Zu erklären, was er erwiderte, dass Stiftungen in Deutschland unabhängige Körperschaften seien usw. usf., ist Sache eines Sprechers des Auswärtigen Amtes.

Ebenso verhielt es sich bei Erdmanns Abmahnung zwei Tage zuvor. Da hatte sich die Türkei über das erschröckliche Vorkommnis erregt, dass bei einem kurdischen Kulturfestival in Köln Bilder des türkischen Kurdenführers Abdullah Öcalan gezeigt wurden, ohne dass die Polizei einschritt.

Das Eine wie das Andere geht die Türkei von Rechts wegen nichts an, aber so geradlinig funktioniert Politik nicht und Diplomatie schon gar nicht. Das weiß Erdmann. Der politische Prügelknabe zu sein für Dinge, die er nicht verursacht, ist sein Beruf. Er hat ihn von der Pike auf gelernt. Der 1955 in Münster geborene Familienvater dreier Kinder gehört bereits seit 1982 zum Auswärtigen Amt, auch wenn er jetzt zum ersten Mal Botschafter ist. Zuvor saß er die meiste Zeit in NATO-Gremien wie dem Nordatlantikrat, dem NATO-Hauptquartier in Brüssel oder dem Stab des Generalsekretärs.

Der »Spiegel« wollte deshalb im Juni vorigen Jahres sogar wissen, dass Erdmann stellvertretender NATO-Generalsekretär werden könnte. Es war wohl so etwas wie eine indirekte Bewerbung, aus der erst einmal nichts wurde. Aber ganz vom Tisch ist die Sache sicher nicht. Vielleicht wird Erdmann ja vor der üblichen Zeit aus Ankara abgezogen - zugunsten eines noch »unbelasteten« Botschafters, als artige Geste der Kanzlerin, die Beziehungen zur Türkei demonstrativ verbessern zu wollen.

Denn Recep Tayyip Erdogan hat sich - diplomatisch äußerst unüblich, aber wiederum nicht für diesen türkischen Präsidenten - schon einmal öffentlich über Erdmann mokiert. Das war, als der Botschafter voriges Jahr beim Prozess gegen den Chefredakteur der Zeitung »Cumhuriyet«, Can Dündar, auf der Besucherbank Platz nahm. Man darf davon ausgehen, dass dies mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt war. Aber auch dies wird man vor Ablauf seiner Akkreditierung kaum von Erdmann selbst erfahren. Er ist schließlich Diplomat.

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