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Hitler - Das Musical
Im Berliner Tempodrom startete Marc-Uwe Kling die Tournee zu seinem neuen Buch »QualityLand«
In den Nachrichten wird die Einführung des Fünfstundentages als Errungenschaft für die Arbeitnehmerschaft bejubelt. Gegen Ende der Durchsage kommt dann beiläufig auch eine kritische Stimme zu Wort: Vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Regierungsbeschlüsse, die Dauer des Tages auf zehn Stunden zu reduzieren, die der Arbeitswoche aber auf zehn Tage zu verlängern, nehme sich der soziale Fortschritt doch eher bescheiden aus. Undankbares Volk!
Daran, dass in die Verlesung der Meldungen Werbeslogans für die erwähnten Unternehmen und Institutionen eingebunden sind, haben sich die Zuhörer im Berliner Tempodrom zu diesem Zeitpunkt bereits gewöhnt: Längst hat Marc-Uwe Kling sie nach »QualityLand« entführt und Pointe um Pointe mit den Gepflogenheiten dieses Zukunftsterritoriums vertraut gemacht, das einem schon heute seltsam bekannt vorkommt. Klings gleichnamiges Buch (nebst Hörbuch) steht ab sofort in den Läden. Mit der dazugehörigen Show touren das schreibende Bühnengenie, das mit seiner Känguru-Trilogie berühmt geworden ist, und sein Assistent Boris the Beast (Bass, Gesang) in den kommenden Wochen durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Länder, die es im hier entworfenen Szenario gar nicht mehr gibt.
Das globale QualityLand braucht keine Grenzen, die dem Konsum nur im Wege stehen, und keine nationale Geschichtsschreibung, die die Leute nur auf dumme Gedanken bringt. Hier haben künstliche Intelligenzen den Menschen das verwirrende Denken und das lästige Fühlen abgenommen. Digitale Assistenten, die mit einem ins Hirn implantierten Sensor verbunden sind, regeln den Alltag und die Zukunftsplanung. Selbstfahrende Autos, die besser als ihre Insassen wissen, wer wann wohin transportiert werden möchte, stehen jederzeit bereit. Der führende Versandhändler erfüllt bewusste und unbewusste Wünsche umgehend, ohne dass dazu eine Bestellung notwendig wäre. Bezahlt wird per TouchKiss, also durch den Kontakt der Lippen mit dem Display. Für das Geschlechts- und Beziehungsleben indessen ist das Tool QualityPartner zuständig.
Weil all diese smarten Instrumente miteinander vernetzt sind, greift die digitale Partnervermittlung selbstverständlich auch auf den sozialen Status der Klienten zurück. Der wird durch die Anwendung »Rate me« (Bewerte mich) ermittelt, deren Werbejingle, einem Hörfehler geschuldet, auf den Nirvana-Song »Rape me« (Vergewaltige mich) zurückgeht. Rutscht ein Versager unter Level 10, hat das erhebliche Auswirkungen auf die Servicequalität. Er gilt dann (inoffiziell) als »Nutzloser«. Ungeachtet der Tatsache, dass die Nachnamen der Menschen nach den Berufen ihrer Eltern vergeben werden, steht aber jedem die Möglichkeit offen, sich in ein höheres Level emporzuarbeiten. Theoretisch selbst Klings sympathischem Antihelden Peter Arbeitsloser.
Auch für den Kulturgenuss ist in QualityLand gesorgt: Im Guido-Knopp-Theater läuft »Hitler - Das Musical«, und unter den leseroptimierten Literaturangeboten finden sich neben Thomas Manns »Buddenbrooks. Aufstieg einer Familie« auch Bücher eines Autors, der unschwer als Kling himself zu identifizieren ist. Nur dass die Algorithmen dessen kommunistisches Känguru eben zum »gemäßigt sozialdemokratischen Koalabären« umgeschrieben haben.
Der Marc-Uwe Kling hingegen, der im Tempodrom zu erleben war, erwies sich als politisch hellwacher Meister der Satire. So wie er das Publikum zu begeistern wusste, wusste er es am Ende zu verblüffen: Die Hälfte aller Toureinnahmen wolle er an eine politische Organisation spenden, deren Ziele er unterstützt. An welche, entscheiden seine Zuhörer, von denen das Geld ja kommt, per Wahlschein am Ausgang. Und für Menschen, die seine Auftritte besuchen wollen, sich den Eintritt aber nicht leisten können, stelle er Freikarten bereit; bitte melden per Mail. Der Mann ist ein begnadeter Komiker. Aber er meint es offenbar ernst.
Marc-Uwe Kling: QualityLand. Ullstein, 384 S., geb., 22 €. Nächste Tourtermine: 25.9. Dresden, 26.9. Leipzig, 27.9. München, 28.9. Würzburg
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