Schneepflug-Training ohne Schnee
Rheinland-Pfalz: Gleitflächen, Wasserfontänen, Rangierfallen - für den Winterdienst üben die Straßenwärter schon im Sommer und Frühherbst
Steht schon ein Wintereinbruch bevor? Sauber aufgereiht warten sechs Räumfahrzeuge und zwölf Fahrer, dass es losgeht. Schnee und Eis fehlen allerdings. Beim Abschied vom Sommer sind es an diesem Tag noch liebliche 18 Grad auf dem Verkehrsübungsplatz in Koblenz. Einige Männer tragen nur ein T-Shirt zu ihrer orangefarbenen Arbeitshose. Der Landesbetrieb Mobilität (LBM) Rheinland-Pfalz schult seine Fahrer für den Winterdienst.
»Wir fangen schon im August mit dem Fahrtraining an, weil man nie weiß, ob nicht schon im Herbst Schnee fällt«, sagt Trainer Bernard Günter. »Vorher müssen alle durchgeschleust sein.«
Laut LBM-Sprecherin Birgit Küppers gibt es in Rheinland-Pfalz landesweit 1500 Straßenwärter. »Davon können etwa 1100 mit Winterdienstfahrzeugen eingesetzt werden.« Nur ein Bruchteil sind Frauen. Außer in Koblenz gibt es auch in Baumholder im Kreis Birkenfeld und in Wüschheim im Rhein-Hunsrück-Kreis Sicherheitstraining mit Räumfahrzeugen.
»Ziel ist, dass jeder Fahrer das einmal im Jahr macht«, erklärt Küppers. An diesem Tag wird in Koblenz für sechs orangefarbene Unimogs mit Allradantrieb, hochgefahrenen Schneepflügen und Warnfahnen ein bisschen Winter simuliert - mit einer speziellen Gleitfläche und munteren Wassersprengern. »Unimog fahren ist nicht so einfach«, sagt Trainer Günter. »Die haben einen hohen Schwerpunkt und einen kurzen Radstand.« In Verkehrskreiseln werden die Fahrzeuge mit drei Tonnen Streusalz an Bord leicht zur Schiffsschaukel. Ihr Vorteil: Anders als Lastwagen können sie auch durch engere Straßen in Dörfern fahren.
Bernard Günter beginnt das heutige Sicherheitstraining mit etwas Galgenhumor: »Wenn noch einer eine rauchen will, dann jetzt - man weiß nie, es kann ja die letzte sein.« Der Trainer blickt auf die orangefarbenen Allradfahrzeuge und ihre hohen Aufbauten für den Winterdienst: »Ist bei jedem alles fest? Wenn nicht, ist Kirmes, wenn wir Slalom fahren.« Sitzposition, Abstand zu den Fußpedalen, Gurt, Lenkradhaltung - zu allem gibt Günter Tipps. Beispielsweise warnt er vor einem durchgestreckten Bein am Gaspedal: »Das kann bei einem Aufprall leichter brechen.«
Jeder bekommt ein Funkgerät für die Ansagen des Trainers - und los geht es. Alle fahren Slalom um orange-weiße Hütchen im Abstand von 20 Metern. »Gleichmäßig und ruhig« gibt Günter als Parole aus. Die zwölf Teilnehmer suchen nach der Ideallinie. »Den Blick weit nach vorne«, funkt der Coach. Dazu werde im Winter dann auch der Schnee zwingen. 30 Kilometer pro Stunde zeigt der Bildschirm der Geschwindigkeitsmessung an. »Gut, gar nicht schlecht für den Anfang, da haben wir schon mehr Not und Elend gesehen«, lobt Günter schließlich.
Es folgen Vollbremsungen. Eigentlich ganz leicht - oder doch nicht? Ein Unimog kommt erstaunlich flott zum Stehen, kippt nach vorne, fährt dann aber gerne wieder ein paar Meter zurück. »Das ist blöd vor einer roten Ampel«, sagt der Trainer. »Wenn man die Bremse zu früh loslässt, taucht der Unimog aus der kompletten Federung auf und rollt zurück.« Günter warnt auch davor, die Kupplung nicht zu treten bei einer Vollbremsung: Dann ist der Antrieb nicht unterbrochen, das Fahrzeug rutscht leichter weiter.
Als nächstes Notbremsung geht es um auf unterschiedlichen Belägen - eine Situation, wie sie mit Laub, Pflastersteinen und Straßenbahnschienen neben Asphalt auch in der Praxis vorkommt. Die zwei rechten Räder bremsen auf der Gleitfläche, die beiden linken auf dem normalen Asphalt. Nicht alle Fahrer schaffen es gleich, den Unimog in der Spur zu halten. »Das ABS (Antiblockiersystem) macht viel, aber lenken müsst ihr schon noch selbst«, mahnt Günter.
Plötzlich schießen Wasserfontänen aus dem Boden, die fahrenden Straßenwärter müssen rasch reagieren. »Die meisten bremsen hart und lenken auch hart. Aber ihr müsst unten den Dorfschmied machen und oben den Pianospieler«, erläutert der Trainer. Trotz Bremsung sei also sanftes Ausweichen gefragt.
Vor den anschließenden Übungen mit Rückwärtsfahren, Rangieren mit Einweisern und Umgang mit den toten Winkeln der Spiegel kommt die Mittagspause - Zeit für Pizzadienst und Plaudern. Straßenwärter Ralf Christmann von der Autobahnmeisterei Wittlich freut sich über die Abwechslung vom Alltag. »Das Training ist sehr schön, macht viel Spaß: Wenig Theorie und sehr viel Fahrpraxis.«
Noch dauert es wohl ein bisschen bis zum ersten Schneefall. Dann aber müssen die Straßenwärter früh raus: meist um 3 Uhr. Thomas Weber von der Straßenmeisterei Mayen sagt: »Das Schlimmste ist, wenn es erst um 6 Uhr anfängt zu schneien. Dann kriegst du den Schnee vor dem Berufsverkehr nicht mehr weg.« Christmann erinnert sich noch an den schneereichen Winter 2009/2010 mit viel Stress. »Wir sagen immer: Wer im Winter frei haben will, der soll Eisverkäufer werden.« dpa/nd
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