Geld allein macht nicht glücklich

Überstunden, Arbeitsdruck und Befristung belasten die Beschäftigten, sagt ein neuer Bericht der Bundesstatistiker

  • Matthias Arnold
  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Auf den ersten Blick läuft es am deutschen Arbeitsmarkt wie geschmiert: Die Erwerbstätigenquote erreichte im Juli 2017 mit 44,2 Millionen Menschen einen neuen Höchststand; die Arbeitslosenquote wiederum ist die zweitniedrigste in Europa. Nur in Tschechien ist der Anteil der Erwerbslosen noch niedriger. Jubelstimmung also bei den Beschäftigten? Wohl kaum. Ihre hohe Zahl sagt nur wenig über ihre Zufriedenheit aus. Viele Überstunden, ein hohes Arbeitstempo und eine zunehmende Zahl an befristeten Verträgen belasten die Arbeitnehmer nach wie vor erheblich, wie ein neuer Bericht des Statistischen Bundesamts zeigt. »Wenn ich Sie fragen würde, ob Sie Ihre Arbeit gerne machen, würden Sie sicherlich nicht nur an Ihr Geld denken«, sagt Georg Thiel, Vizepräsident des Statistischen Bundesamts bei der Präsentation am Mittwoch. Der Bericht zur »Qualität der Arbeit« nimmt deshalb auch Faktoren wie Arbeitszeit, Qualifikationen sowie Zusammenarbeit und Motivation in den Blick.

Dabei fällt zunächst auf: Bei vielen dieser Punkte hat sich in den vergangenen Jahren kaum etwas geändert. Stichwort Arbeitszeit: 41,3 Stunden arbeitete ein Vollzeitbeschäftigter im vergangenen Jahr in Deutschland pro Woche - ähnlich viel wie noch vor 25 Jahren, schreiben die Statistiker.

Das gilt auch für die überlange Arbeitszeit. Rund elf Prozent der Beschäftigten arbeiteten dem Bericht zufolge 2016 mehr als 48 Stunden in der Woche. »Der Wert schwankt immer wieder, bleibt im langjährigen Vergleich aber konstant«, sagt Diplom-Soziologin Lisa Günther vom Themenbereich »Arbeitsmarkt« beim Bundesamt. Für Oliver Suchy vom Deutschen Gewerkschaftsbund ist das kein Grund zur Freude. »Überlange Arbeitszeiten sind nur die Spitze des Eisbergs«, sagt er. »Das Problem ist vor allem, dass mehr als die Hälfte aller Beschäftigten teilweise deutlich mehr als 40 Stunden pro Woche arbeitet und damit länger als vertraglich vereinbart.« 961 Millionen Überstunden seien so im vergangenen Jahr insgesamt zusammengekommen. Und klar sei: »Wer länger arbeitet, hat auch mehr Stress.«

Das zeigen auch die Zahlen des Statistischen Bundesamts. Termindruck und ein hohes Arbeitstempo belasten demnach rund 40 Prozent der Beschäftigten in Deutschland. Mehr als der Hälfte aller Führungskräfte machte insbesondere die dichte Termintaktung zu schaffen. Das Problem ist dem Bundesamt zufolge unabhängig von Stellung und Branche: Angestellte in der Anlagen- und Maschinenbedienung sowie im Handwerk leiden ähnlich stark unter einer zu hohen Termindichte.

Arbeitgeber erklären Letzteres vor allem mit der guten Auftragslage bei Industrie und Handwerk. Fachkräftemangel und eine starke Nachfrage führten ihnen zufolge automatisch zu einer höheren Arbeitsintensität. Rechnet man Teil- und Vollzeitarbeitskräfte zusammen, lässt sich der Wert zudem schönrechnen. Dann liegt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Deutschland bei rund 35 Stunden und damit zwei Stunden unter dem europäischen Schnitt.

Und auch beim Anteil der befristet Beschäftigten lag in Deutschland im vergangenen Jahr knapp unter dem EU-Durchschnitt. 8,5 Prozent der Erwerbstätigen hätten einen befristeten Arbeitsvertrag gehabt, schreibt das Statistische Bundesamt (EU: 11,3 Prozent). In den vergangenen zehn Jahren sei ihre Zahl von 2,4 auf 2,8 Millionen geklettert. »Allerdings hat auch die Gesamtzahl der Erwerbstätigen zugenommen, so dass in diesem Zeitraum die Befristungsquote relativ konstant blieb«, schreiben die Autoren. Treiber des Anstiegs der absoluten Zahl seien auch befristet angestellte Wissenschaftler an Universitäten, sagt Bundesamt-Vizepräsident Thiel. dpa/nd

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