Verhöhnt. Getroffen. Versöhnt.

Nach vielen Pfiffen hat sich Timo Werner in die Herzen der Nationalmannschaftsfans geschossen - und in die Startelf

  • Maik Rosner, Stuttgart
  • Lesedauer: 3 Min.

Timo Werner wurde zum Mannschaftsbus eskortiert, als gelte es einen Schatz sicher ins Versteck zu schaffen. Keine weiteren Fragen bitte, seine kurzen Einlassungen im Fernsehen und auf der Pressekonferenz nach dem überzeugenden 6:0-Sieg gegen Norwegen müssten reichen, legte ein Presseattaché der deutschen Nationalmannschaft fest. Dabei hätte Werner sicher noch einiges beisteuern können zu jener Geschichte über seinen steilen Aufstieg zu Deutschlands Angreifer Nummer eins - trotz vieler Widerstände. Nach seinen Toren zum 3:0 (21.) und 4:0 (40.), seinen Treffern Nummer fünf und sechs in den vergangenen fünf Länderspielen.

»Ich freue ich, dass ich auch in der Nationalmannschaft in der Häufigkeit treffe. Es haben viele nicht damit gerechnet, dass es so für mich hier ausgeht«, sagte der 21-Jährige zu seiner Rückkehr in seine Geburtsstadt Stuttgart. Den hiesigen VfB hatte er im Sommer 2016 Richtung RB Leipzig verlassen. Der Anschluss an den Milliardärsklub brachte ihm viele Anfeindungen ein, ebenso eine Schwalbe gegen Schalke 04 im Dezember 2016. Noch am Freitag beim 2:1-Sieg in Tschechien hatte Werner wieder viele Schmähungen über sich ergehen lassen müssen, wie schon oft zuvor in den Bundesligastadien.

In der alten Heimat erlebte Werner nun aber fast so etwas wie einen Sturm der Liebe. Dieser war wohl auch vom Gefühl des Publikums getragen, nach dem ebenfalls rechtsradikalen Krawall einiger deutscher Fans in Prag Zeichen setzen zu müssen. Weniger wertvoll machte das die Unterstützung für ihn nicht. »Es bedeutet mir sehr viel, weil es hier in der Heimat war. Es freut mich doppelt, dass ich es so zurückzahlen konnte«, sagte Werner.

Bundestrainer Joachim Löw fühlte sich ebenso zu einer Hymne auf seinen Stürmer Nummer eins veranlasst wie Werners Kollegen, darunter sogar Konkurrent Mario Gomez selbst. »Er macht das, was dem Gegner extrem wehtun, was extrem schwer zu verteidigen ist. Er hat einen brutalen Zug zum Tor und diese Schnelligkeit«, sagte Joachim Löw. »Timo läuft ständig quer und steil, das ist für unser Kombinationsspiel sehr gut.«

Für Sami Khedira ist Werner einer, »der zur Weltklasse aufsteigen kann«. Gomez ging sogar noch weiter, als er sich quasi in der Stürmerhierarchie als Absicherung hinter Werner einsortierte. »Er wird die nächsten zehn Jahre in Deutschland im Sturm dominieren. Wahrscheinlich auch in Europa, wenn er einfach so weiter macht wie bisher. Er ist so klar in der Birne und macht das grandios. Wir brauchen bei der WM einen Timo Werner in dieser Form«, sagte der 32-Jährige.

Atemberaubend ist die Rasanz der jüngsten Entwicklung von Werner, wenngleich sie sich lange abgezeichnet hat. Schon früh in Stuttgart, wo er am 17. August 2013 mit 17 Jahren als jüngster Spieler der VfB-Geschichte in der Bundesliga debütierte und vier Spieltage später zum jüngsten Torschützen des Vereins avancierte.

Inzwischen erinnert seine Erfolgsquote quer durch die Auswahlmannschaften und bei Leipzig sogar an die ganz großen Vorgänger in Deutschland bis hin zu Gerd Müller. 21 Tore und sieben Vorlagen häufte Werner allein in seinen 31 Bundesligaspielen der Vorsaison für Leipzig an. Zum Confed-Cup-Gewinn steuerte er drei Tore und zwei Vorlagen bei. Dafür wurde ihm nach dem Finale der Goldene Schuh verliehen.

Es ist fast ein bisschen so, als sei das Stuttgarter Publikum am Montag Augenzeuge geworden, wie das einstige Talent in seiner Heimat die Wandlung zum Spitzenspieler und zur festen Größe in der Nationalelf vollzog. Und die beruhigende Nachricht dabei war, dass Werner selbst das am allerwenigsten erkannte und sofort alle Überhöhungen ablehnte. Werner sagte unaufgesetzt geerdet: »Als Stürmer Nummer eins würde ich mich nicht bezeichnen.« Das war keine falsche Bescheidenheit, sondern von dem Wissen getragen, seine Entwicklung in der Zukunft weiter bestätigen zu müssen.

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