Deutschland fährt auf die Seidenstraße ab

Chinas neue Infrastruktur- und Handelsinitiative ist weit größer als das Fünf-Länder-Bündnis BRICS

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Folgsam dreht sich Präsident Xi Jinping den Pressefotografen zu, als Gastgeberin Angela Merkel auf dem G20-Gipfel in Hamburg die Mächtigen der Welt darum bittet. Ein smartes Lächeln umspielt seine Lippen. Der Mann gilt für einen Politiker aus Asien als bemerkenswert offen für das Spiel mit den Medien. Und der 64-jährige nimmt dankend die Kontermöglichkeiten an, die ihm die protektionistische Politik von US-Präsident Donald Trump bietet. Kernbotschaft: Wir sind für freien Handel.

So nutzte Xi den Gipfel im Juli auch, um die BRICS-Konferenz mit den anderen großen Schwellenländern Brasilien, Russland, Indien und Südafrika vorzubereiten, die seit Sonntag in Xiamen tagt. Zwei Stichworte spulten Chinas Offizielle und Inoffizielle in den Hamburger Messehallen ständig ab: offene Volkswirtschaft und »Belt-and-Road-Initiative«. Bei letzterer geht es um den Aufbau eines interkontinentalen Infrastrukturnetzes zwischen Asien, Europa und Afrika zu Wasser und zu Lande. Bei der Neuen Seidenstraße geht es nicht allein um Handelsströme. Die Länder entlang der Route sollen auch ihre Wirtschaft flottmachen, mit Chinas Hilfe und unter seiner Führung.

Während seit Beginn dieses Jahrzehnts bilaterale und regionale Abkommen die globale Handelspolitik dominieren, geht es Peking um ein multinationales Projekt. Damit liegt die Volksrepublik eigentlich auf dem Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Vor diesem Hintergrund erscheinen Xis wichtigste Treffen in Hamburg wie an der Perlenschnur aufgereiht: Partnerschaften in Asien wurden ergänzt um den strategischen Korridor Russland-Deutschland-Großbritannien - auf der britischen Insel soll dereinst die Hauptroute der Neuen Seidenstraße enden. Dabei bietet China seinen Mitspielern viel an: steigendes Handelsvolumen, Finanzierung und Bau von Infrastrukturprojekten, wirtschaftspolitische Kooperation. Wobei viele das Treiben mit Argusaugen verfolgen.

Das tut auch die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), ein führender Think-Tank für die deutsche Bundespolitik. »Mit der Seidenstraßeninitiative möchte China sowohl seine internationale Legitimität stärken als auch seine geopolitische Macht ausbauen«, meint Sebastian Schiek von der »Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien« der Stiftung. Zentrales Element der Initiative sei der schnelle Gütertransit. Dazu müsste sich nach Pekings Auffassung vornehmlich im Nadelöhr Zentralasien einiges ändern. Von Partnerländern wie Kasachstan und Usbekistan fordert die chinesische Regierung deshalb Reformen und regionale Kooperationen ein.

Deutschland und die EU könnten hier ihr Wissen aus einer langjährigen institutionalisierten Zusammenarbeit in der Region einbringen, genauer gesagt aus ihrem Projekt zu Grenzreformen. »Die Chancen für einen Wandel in Zentralasien stehen heute weitaus besser als früher«, schreibt Schiek in einer aktuellen Studie. Die fünf Staaten seien wirtschaftlich an ihre Grenzen gestoßen.

Das Seidenstraßenprojekt trifft auch andere deutsche Interessen: »Für Deutschland und die EU könnte es sich lohnen zu diskutieren, welche gemeinsamen Interessen mit China bestehen«, fordert Schiek. Wie lassen sich solche Gemeinsamkeiten nutzen, um Reformen wie in Zentralasien im eigenen Sinne zu beeinflussen?

Einen Sonderstatus genießt das Reich der Mitte schon in der »Stadt der Brücken«, wie Xi Hamburg nennt. Ohne den Ausbau Chinas zur Werkbank der Welt wäre der Boom des größten deutschen Hafens in den zurückliegenden Jahrzehnten unmöglich gewesen. Heute wird ein Drittel des Containerumschlags mit China abgewickelt. Mehr als 500 Firmen aus der Volksrepublik arbeiten in der Hansestadt. »Hamburg gilt als Chinas Tor zum europäischen Markt und umgekehrt«, heißt es in der Handelskammer, die die Seidenstraßeninitiative positiv sieht.

Auf seiner Deutschland-Tour hatte Xi auch Duisburg besucht. Im weltgrößten Binnenhafen soll eine weitere Seidenstraßenroute enden. Zugleich baut die Hafengesellschaft Duisport an der Grenze zu Kasachstan den größten Umschlagplatz Chinas auf.

Auch der deutsche Industrieverband BDI begrüßt das Seidenstraßenprojekt, fordert jedoch, dass China als Initiator ebenfalls seinen Markt öffnen solle. Schon jetzt profitieren große deutsche Logistikkonzerne wie die Bahntochter Schenker, Kühne & Nagel oder DHL von neuen Transitschneisen. Und die Energiewirtschaft verspricht sich leichteren Zugang zu Gaslieferanten wie Kasachstan.

Kritiker hingegen befürchten eine noch stärkere Orientierung auf die Exportwirtschaft. Auch könnte China EU-Mitgliedstaaten gegeneinander ausspielen. Solche Stimmen haben aktuell aber wenig Gewicht.

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