Alltag im Rentnerknast

Das Gefängnis in Singen spezialisiert sich auf die Resozialisierung von kriminellen Senioren

  • Kathrin Drinkuth
  • Lesedauer: 3 Min.

Singen. Die Arbeit ist getan, jetzt kommt die Freizeit. Neben Walter - der eigentlich anders heißt - steht eine Tasse Kaffee auf dem kleinen Holztisch, vor ihm liegt eine Zeitschrift mit Kreuzworträtseln. Er habe es sich gemütlich gemacht, sagt der 82-Jährige. Soweit man es sich eben gemütlich machen kann in einer Gefängniszelle. Denn Walter ist Insasse im Gefängnis in Singen, einer Außenstelle der Justizvollzugsanstalt Konstanz. Dorthin kommen nur Männer, die beim Antritt ihrer Strafe älter als 62 Jahre alt sind und in Baden-Württemberg eine Haft von über 15 Monaten absitzen müssen.

Ein Jahr habe er schon hinter sich gebracht, fünf lägen noch vor ihm, sagt der 82-Jährige, der wegen Raubüberfällen verurteilt wurde. Vormittags arbeitet er mit den anderen Insassen im Gefängnisbetrieb, sie führen einfache Montage- und Verpackungsarbeiten für Firmen aus. Den Nachmittag kann der Senior frei gestalten - es gibt verschiedene Freizeit- und Sportangebote extra für Ältere. Dass die JVA sich auf Senioren spezialisiert habe, helfe ihm, sagt er. »Auch wenn ein Gefängnis ein Gefängnis bleibt. Man ist halt eingesperrt.«

Aber warum gibt es überhaupt eine JVA für alte Kriminelle? »Im normalen Vollzug würden sie eher an den Rand gedrängt«, sagt der Dienstleiter der JVA-Außenstelle, Thomas Maus. In Singen sind daher manche Regeln im Vergleich zu anderen JVAs etwas lockerer: Die Insassen können sich tagsüber frei in dem Gefängnis bewegen. Außerdem dürfen sie pro Monat sechs statt einer Stunde Besuch empfangen. Denn anders als bei jungen Strafgefangenen gehe es nicht darum, die Insassen in Ausbildung oder Beruf zu bringen, sagt Maus. »Es ist wichtiger, die sozialen Kontakte zu erhalten, damit nach der Entlassung im Alter ein Leben ohne Straftaten gelingt.«

Maus betont aber auch: »Es ist nicht unsere Aufgabe, den Vollzug privilegierter oder bequemer zu gestalten.« In Singen gehe es vor allem darum, die Senioren mobil zu halten. »Wir fordern viel«, sagt Maus. So würden die Insassen ständig dazu motiviert, an den Angeboten teilzunehmen - statt in der Zelle zu sitzen. Neben der Arbeit gibt es beispielsweise Bastel-, Gymnastik- oder Gesangskurse. Außerdem würden die Männer dazu angehalten, während der Haft ihre Straftat aufzuarbeiten. »Hier kann keiner in der Masse verschwinden.«

Der baden-württembergische Justizminister Guido Wolf (CDU) sagt: »Es macht schon Sinn, ältere Gefangene zusammen in einer solchen Vollzugsanstalt unterzubringen. Das heißt aber nicht, dass wir in den anderen Anstalten keine älteren Häftlinge mehr hätten.« Die JVA-Außenstelle Singen ist nach Angaben des Ministeriums derzeit die einzige mit spezieller Seniorenabteilung in Deutschland. 43 Insassen sind dort untergebracht - Kapazität gibt es für 48 Gefangene. Häftlinge, die pflegebedürftig werden und in Singen nicht mehr betreut und versorgt werden können, kommen in das Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg.

Momentan sei der älteste Häftling in Singen 85 Jahre alt, der jüngste 62, sagt Maus. Die Insassen seien zu je einem Drittel wegen Betrugs, sexuellen Missbrauchs und Gewaltstraftaten verurteilt worden. Bei letzterem gehe es mitunter sowohl um Körperverletzung als auch um Mord, oft innerhalb des eigenen Umfeldes. dpa/nd

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