Rettung für den Schiefen Koloss von der Stepenitz

Mecklenburg-Vorpommern: Das markante Speichergebäude in Dassow erhält eine neue Gründung

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Irgendwann kippt der große Backsteinklotz um - und fällt in sich zusammen. Autofahrer und Radler, die öfter auf der Bundesstraße 105 zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein unterwegs sind, mögen durchaus diesen Gedanken hegen beim Blick auf den alten Speicher in Dassow. Er steht schief und scheint im Laufe der Jahre immer schiefer zu werden. Wie der Turm von Pisa in Norditalien. Den hat man bislang durch Gegengewichte aus Blei vor dem weiteren Absinken bewahrt - in Dassow dagegen wird dazu Beton eingesetzt, in Form einer völlig neuen Gründung unter dem markanten Gemäuer. So wollen die Brüder Mark und Lars Semrau, beide Baufachleute aus dem nahen Kalkhorst, das 1861 entstandene Lagerhaus retten. Errichtet worden war es seinerzeit von der Unternehmerfamilie Callies auf einem geschichtsträchtigen Areal. Auf ihm stand einst eine slawische Burg. Nach deren Zerstörung im Jahre 1262 entstand ein mittelalterlicher Trutzbau am selben Ort. Funde beim Bau des Speichers belegen dies, wie einem Bericht von 1862 zu entnehmen ist.

Die Familie Callies, die 1948 enteignet wurde, betrieb einst einen Holz- und Landhandel. Sie besaß mehrere Speicher in Westmecklenburg, unter anderem in Klütz, dort gleich zwei. Der größere ist inzwischen abgerissen worden, der kleinere erinnert seit 2006 als »Literaturhaus Uwe Johnson« an das Schaffen des 1984 verstorbenen Schriftstellers.

Zurück nach Dassow. Schon den Planern des Speichers dürfte die Beschaffenheit des Baugrundes nahe dem Fluss Stepenitz, die über die Trave die Ostsee erreicht, bekannt gewesen sein: nicht besonders stabil, eher weich, schluffig. Um das Lagerhaus dennoch in der Nähe des Hafens, direkt am Fluss hochziehen zu können, trieb man Holzpfähle tief in den Boden, bis in festere Schichten. Doch für diese Gründung war der Speicher mit seinen 500 Tonnen Gewicht dann doch zu schwer.

Anfangs unmerklich, nach Jahrzehnten aber sichtbar, neigte er sich immer mehr, inzwischen zur Stepenitz hin um gut einen Meter. Schon gab es Stimmen, die den Abriss des denkmalgeschützten, seit vielen Jahren leer stehenden Gebäudes empfahlen. Die Brüder Semrau aber entschlossen sich, das Stück Heimat zu erhalten, kauften der Stadt Dassow 2011 den Speicher ab und beschlossen, ihn zu sichern und zu sanieren.

Die Arbeiten dazu haben nun begonnen, nachdem es allerlei behördliche Hürden zu überwinden galt. Gleich mehrere Gutachten zur Machbarkeit ihres Projekts mussten die Semraus erstellen lassen und den Entscheidern vorlegen, erst dann gab es die Genehmigung für all die Schritte zum Erhalt des historischen Bauwerkes.

Erster und wichtigster Schritt: Der Speicher bekommt eine neue, stabile Gründung. Dazu werden 110 Pfähle 40 Meter tief eingerammt, Stahl statt Holz, mit Beton ausgegossen. Steht der Bau sicher, wird er renoviert, bis Ende 2018 sollen alle Arbeiten abgeschlossen sein, hoffen die Investoren.

Ein gastronomischer Betrieb mit guter Aussicht auf die landschaftlich reizvolle Umgegend soll in die oberste Etage einziehen, in den anderen Stockwerken wollen die Brüder eine Pension und auch einen Veranstaltungssaal einrichten. Rund zwei Millionen Euro werden sie voraussichtlich bis dahin in ihren Speicher gesteckt haben. Das Land unterstützt sie dabei mit Fördermitteln - rund 40 Prozent der Kosten werden erwartet, zitiert der NDR die Semraus.

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