Werbung

Ein dokumentarisches Notizheft, eine Stoffsammlung

Olga Grjasnowa kann mit ihrem Roman über Syrien kaum überzeugen

  • Lilian-Astrid Geese
  • Lesedauer: 3 Min.

Ihr erster Roman »Der Russe ist einer, der Birken liebt« (2012) wurde enthusiastisch gelobt. Eigenwillig sei die Autorin, gelungen mische sie Komik und Tragik. »Die juristische Unschärfe einer Ehe« (2014) stieß auf weniger Begeisterung. Nun also Olga Grjasnowas drittes Opus: »Gott ist nicht schüchtern«. Auch dieses Mal scheitert sie angesichts immer noch hoher Erwartungen an die frische Stimme einer jungen Generation, zu der die 33-jährige Deutsch-Aserbaidschanerin nach früher Kritikermeinung heranreifen sollte.

Der nett gewählte Titel schwebt recht bedeutungslos über den Geschichten, die der Roman erzählt. Grjasnowa beschreibt im rhythmischen Wechsel eine Zeit im Leben der Schauspielerin Amal und des Arztes Hammoudi. Beide wachsen in Syrien auf, beide landen in Berlin, wo sich ihre Wege kurz kreuzen.

Die Story des jungen Mediziners ist spannender und berührt auch mehr. Nach seinem Examen in Paris möchte er nur ein paar Formalitäten in Damaskus klären, bevor er seine Stelle an einer französischen Klinik antritt. Doch die syrischen Behörden lassen ihn nicht mehr ausreisen. Zunehmend politisiert sich der einst eher gleichgültige Mann aus Deir ez-Zor und betreibt ein Hospital im Untergrund, bis er schließlich fliehen muss.

Amal verdient ihr Geld als Schauspielerin in TV-Serien und genießt eine gewisse Popularität, als ihr Leben vom Krieg im Land durcheinandergeworfen wird. Weil ihre Freunde dabei sind, schließt sich die Tochter eines Assad-treuen Beamten den Demonstrationen gegen das Regime an. Ob aus dem Wunsch, gegen Tradition und Familie zu opponieren, oder weil ihr nichts anderes einfällt, bleibt im Dunkeln. Auch sie muss fliehen.

Lässt sich beim eher egozentrischen Hammoudi der erzwungene »Hausarrest« noch als Grund für sein Engagement nachvollziehen, sind Amals Entscheidungen schwer einzuordnen. Ihre Figur im Buch bleibt blass. Vielleicht soll sie die gescheiterte Mittelschicht repräsentieren. Vielleicht dient sie der Autorin auch nur als weibliche Protagonistin für den Roman, in dem Frauen ansonsten keine Rolle spielen. Auch die Reisen der Flüchtlinge und die beschriebenen Orte muten trotz fast journalistischer Wiedergabe seltsam distanziert an. Das könnte ein bewusstes Stilmittel sein, doch der Eindruck herrscht vor, die Figuren seien schlicht nicht zu Ende gezeichnet.

Angesichts des bedrückenden Schicksals syrischer Flüchtlinge in der Welt heute ist es schade, dass dieser ihnen gewidmete Roman so wenig überzeugt. Er kann dies letztlich auch nicht wegen des streckenweise fast unbeholfen wirkenden Schreibstils Grjasnowas. Sie schreibt erratisch - mal von Amals Liebschaften, mal von der lange verschwundenen russischen Mutter, mal von der Revolution in Syrien, die »ein Fehler war«. Ein Baby wird geraubt, eine Kochshow produziert. Hammoudis Geschichte endet abrupt, und nicht weniger abrupt endet der Roman. Er erscheint letztlich ein dokumentarisches Notizenheft oder eine Stoffsammlung in Vorbereitung eines Buches zu sein und belegt einmal mehr, dass der Weg von frühem Ruhm zur dauerhaften Profilierung einer Autorin weit ist.

Olga Grjasnowa: Gott ist nicht schüchtern. Roman. Aufbau Verlag, 309 S., geb., 22 €.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.