Anti-Weihnachtsmann Macron und seine Wichtel
Die Arbeitsmarktreform war eines der zentralen Wahlversprechen des französischen Präsidenten. Nun nimmt sie Gestalt an - für Lohnabhängige ist nicht viel Gutes dabei
»Ich bin nicht der Weihnachtsmann!« antwortete Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Mai Lohnabhängigen, die ihn aufgrund des befürchteten Verlusts ihrer Arbeitsplätze am Rande einer öffentlichen Veranstaltung ansprachen. Tatsächlich führt seine Regierung für die Lohnabhängigen des Landes nicht viel Gutes im Sack.
Insbesondere müssen die Pläne zur erneuten »Reform« des Arbeitsrechts, die an dem im August 2016 nach heftigen Protesten in Kraft getretenen Loi travail anknüpfen, für Beunruhigung sorgen.
Dabei hat die Regierung eine Marschrichtung an drei Fronten festgelegt. Das erste Kapitel soll das Verhältnis von Gesetz, Branchen- und Unternehmensvereinbarungen neu bestimmen. Insbesondere die Arbeitszeitpolitik, möglicherweise aber auch Themen wie Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, sollen wesentlich stärker als bisher in die einzelnen Unternehmen ausgelagert werden. Der Schutz durch allgemeinverbindliche Gesetze oder Branchenkollektivverträge würde geschwächt oder entfallen.
Allerdings öffnet die Regierung, sozusagen im Gegenzug, neue Verhandlungsfelder für den Branchenkollektivvertrag, die Entsprechung zum deutschen Flächentarif.
Er soll zum Beispiel über Befristungsgründe für Arbeitsverträge - die über die bisher bestehenden, gesetzlichen Befristungsmöglichkeiten hinausgehen - entscheiden dürfen. Dies bedeutet zwar einen geringeren Schutz als bisher, auf Kosten des Spielraums der Gesetzgebung. Allerdings benutzt die Regierung das als Argument an die Adresse der Gewerkschaften, in dem sie argumentiert, dass sie den Branchenkollektivvertrag ja gar nicht austrockne, sondern - im Gegenteil - neue Verhandlungen auf dieser Ebene ermögliche.
Das zweite Kapitel betrifft den »sozialen Dialog im Unternehmen«. So sollen etwa in Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten neue Verhandlungsmöglichkeiten geschaffen werden. Bis zu dieser Unternehmensgröße dürfen bislang keine délégués syndicaux, also Gewerkschaftsvertreter mit einer Teil-Freistellung, ernannt werden. Um dem Arbeitgeber Verhandlungspartner zu stellen, dürfen die Gewerkschaften allerdings bisher einzelnen Beschäftigten in diesen Unternehmen ein befristetes Mandat, das bis zum Ende der konkreten Verhandlung gilt, erteilen.
Die Regierung plant nun, außergewerkschaftliche Akteure als Verhandlungspartner des Arbeitgebers zuzulassen, etwa auf gewerkschaftsfreien Listen gewählte betriebliche Vertrauensleute (délégués du personnel). Viele befürchten dadurch eine weitere Verdrängung der Gewerkschaften aus kleinen und mittleren Unternehmen. Eine Alternative hätte darin bestanden, die Grenze von 50 Beschäftigten aufzuheben, um über teilfreigestellte Gewerkschaftsvertreter verfügen zu können. Das kam aber für die Regierung nicht in Frage.
Das letzte Kapitel betrifft die »Modernisierung des Arbeitsmarkts«. Dazu zählt insbesondere das Vorhaben, einen neuen Vertragstypus einzuführen, den contrat de projet. Dabei handelt es sich um einen Arbeitsvertrag ohne formale Befristung, der jedoch mit dem Erreichen eines bestimmten Zwecks - etwa der Fertigstellung eines Computerprogramms oder der Beendigung eines Exportauftrags - automatisch ausläuft. Arbeitsministerin Muriel Pénicaud zufolge würden dadurch die »unbefristeten« Arbeitsverträge zunehmen. Was ja, soPénicaud in ihren öffentlichen Auftritten, von Vorteil für die Beschäftigten sei, wenn diese etwa einen Mietvertrag oder Wohnungskredit aushandeln möchten. Dabei handelt es sich um eine Mogelpackung sondergleichen, denn in Wirklichkeit wird dem contrat de projet ein Selbstzerstörungsmechanismus in die »unbefristeten« Arbeitsverträge eingebaut.
Auch sollen Abfindungszahlungen bei ungerechtfertigten Kündigungen verbindlich gedeckelt werden. Das Arbeitsgesetz von 2016 sieht eine unverbindliche Deckelung vor. Der Deckel soll überdies tiefer heruntergeschraubt werden. Gerechtfertigt wird dies mit der »Rechtssicherheit« der - sonst gerne als »risikofreudige Unternehmer« gelobten - Kapitaleigentümer.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.