150 000 Euro für Wünsche frei - was tun?
NRW-Stadt Wuppertal übt sich in Bürgerbeteiligung
Rostige Geländer verschönern, eine überdachte Boule-Bahn bauen, mobile Rampen für Rollstuhlfahrer kaufen oder einen Strand an der Wupper anlegen: Wuppertal spielt seit Wochen »Wünsch Dir was«. Die Bürger schlagen Projekte vor, 150 000 Euro stehen bereit. Das erstmals vergebene Bürgerbudget hat die Fantasie der Einwohner beflügelt. Stattliche 266 Vorschläge kamen Ende Mai auf einer Online-Plattform zusammen. Ein Park für Barfußläufer war dabei oder ein »Lärmblitzer« gegen nachts röhrende Automotoren. Was den Zuschlag erhält, steht noch nicht fest.
In dem EU-Projekt »Empatia« erprobt Wuppertal derzeit neue Formen der Bürgerbeteiligung. Damit steht die 350 000-Einwohner-Stadt in Nordrhein-Westfalen in einer Reihe mit Mailand und Lissabon, die auch neue Dialogwege suchen.
Welche Vorschläge Wuppertal am Ende umsetzt, hängt ab von der Bewertung der Bürger. Der Kreis der Projekte wird immer kleiner und muss durch einen »Gemeinwohl-Check«, bis am Ende online die Sieger bestimmt werden. Das EU-Projekt steuert die Plattform für den Prozess bei. Das Bonner Experten-Büro Zebralog begleitet das Vorhaben.
Wuppertals Kämmerer macht kein Hehl daraus, dass das Bürgerbudget auch Folge einer Ernüchterung ist. »Unsere hauptsächliche Motivation ist, dass wir den Bürger für Politik interessieren wollen«, sagt Johannes Slawig. Denn wenn Verwaltung sonst über den neuen Haushalt informiert, kommen oft nur die, für die es um etwas Konkretes geht - zum Beispiel die, die für den Erhalt eines Schwimmbads kämpfen. Beim letzten Mal waren mehr Leute aus der Verwaltung da als Bürger, erzählt der Kämmerer.
Es sei ein Trend in ganz Deutschland, den Bürgern zu mehr Themen eine Beteiligung anzubieten, berichtet Michelle Ruesch von der auf Dialogformen spezialisierten Agentur Zebralog. »Spätestens seit Stuttgart 21 versuchen die Kommunen, die Bürger früher zu beteiligen.« Gegen das umstrittene Milliardenprojekt am Stuttgarter Bahnhof hatte es massive Proteste gegeben.
Die Resonanz auf das Wuppertaler Bürgerbudget war viel größer als erwartet. »Wir hatten erst Angst, dass es wenige Projekte gibt«, schildert Marcel Solar aus dem städtischen Büro für Bürgerbeteiligung. »Und dann, dass es zu viele sein werden.« In den letzten Stunden vor Abgabeschluss Ende Mai purzelten die Vorschläge via Internet nur so herein.
Dass die finanziell vom Stärkungspakt des Landes gestützte Kommune sich das Bürgerbudget von 150 000 Euro leisten kann, ist auch privaten Sponsoren zu verdanken, die ein Drittel der Summe beisteuern. Wuppertal hatte 1992 zum letzten Mal einen ausgeglichenen Haushalt und strebt einen solchen für das laufende Jahr wieder an. Mehr als eine Milliarde Euro umfasst der aktuelle Ausgabenplan.
Von den 266 Vorschlägen für die Verwendung der 150 000 Euro sind nach einer Online-Abstimmung 100 übrig geblieben. Die sollen öffentlich vorgestellt und bewertet werden. »Wir wollen mit den Leuten gucken, welche Projekte sind gut für Wuppertal«, sagt Marcel Solar, der Fachmann für Bürgerbeteiligung. 30 Projekte mit der besten Punktzahl kommen im September in die letzte Online-Abstimmung. Vor Pfingsten hatten den meisten Zuspruch ein Tanztheater für Senioren und das Projekt für Gärtnern und Gemüseanbau in der Stadt. dpa/nd
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