Ein Bürger mit falscher Identität

  • Sven Eichstädt
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Iraker war 1997 in die Bundesrepublik gereist und hatte dabei eine falsche Identität angegeben. Er beantragte Asyl, wurde als Flüchtling anerkannt und erhielt einen Aufenthaltstitel. 2010 offenbarte er der Ausländerbehörde in München seine wahre Identität und beantragte dann 2012 dort seine Einbürgerung. Die bayerische Landeshauptstadt wollte ihm allerdings keinen deutschen Pass ausstellen: Wegen der Identitätstäuschung habe der Mann mindestens acht Jahre seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht nachweisen können, argumentierte die Behörde. Genau dies ist eine der Voraussetzungen für eine Einbürgerung. Weil München seine Einbürgerung ablehnte, klagte der Mann gerichtlich und verlor die ersten beiden Prozesse. Doch jetzt hatte er in letzter Instanz beim Bundesverwaltungsgericht Erfolg.

Das liegt daran, dass die Ausländerbehörde seit 2010 nichts unternommen hatte, als sie von der falschen Identität des Mannes erfahren hatte. »Die Ausländerbehörde hat auf die Identitätstäuschung nicht mit den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten reagiert und hat es so hingenommen, dass die auf die Aufenthaltsdauer bezogenen Voraussetzungen der Einbürgerung erfüllt worden sind«, sagte der Vorsitzende Richter Uwe-Dietmar Berlit zur Begründung.

Als mögliche Mittel der Ausländerbehörde nannte Berlit das Stellen einer Strafanzeige wegen mittelbarer Falschbeurkundung, das Hinwirken auf eine Aufhebung der Flüchtlingsanerkennung und eine Aufhebung des Aufenthaltstitels. Weil die Münchner Behörden dies alles nicht getan hätten, seien sie dann auch daran gebunden, die Zeiten des Aufenthalts in Deutschland anzuerkennen, in denen ein Ausländer unter falscher Identität hier gelebt hat.

In zwei weiteren Verfahren mit ausländerrechtlichem Hintergrund entschied ebenfalls der Erste Senat des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Europäische Gerichtshof angerufen wird und ihm die Fragen zur Klärung vorgelegt werden. Das betrifft zwei Busunternehmen, die Ausländer über die deutsch-niederländische und deutsch-belgische Grenze fahren.

Die Bundespolizei hatte festgestellt, dass in zahlreichen Fällen dabei Ausländer ohne gültige Pässe oder Aufenthaltstitel mitfuhren, was als illegale Einreise gewertet wurde. Deshalb erließ die Bundespolizei in Potsdam im November 2014 Verfügungen gegen die beiden Busunternehmen, nach denen sie nur noch Ausländer mit gültigen Dokumenten nach Deutschland fahren dürfen. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wurde ein Zwangsgeld von 1000 Euro angedroht. Diese Verfügungen setzen eine Pflicht der Busunternehmen voraus, vor der Einreise in das Bundesgebiet Pass und Aufenthaltstitel der Passagiere zu kontrollieren.

Vor dem Verwaltungsgericht Potsdam hatten die Busunternehmer mit ihren Klagen im Mai 2016 Erfolg. Die Begründung lautete, dass nach dem Schengener Grenzkodex EU-Binnengrenzen ohne Personenkontrollen überschritten werden dürfen. Der Erste Senat des Bundesverwaltungsgerichts will nun allerdings vor einer Entscheidung vom Europäischen Gerichtshof wissen, ob der Schengener Grenzkodex einer nationalen Regelung der Bundesrepublik entgegensteht. Erst wenn die Luxemburger Richter dazu entschieden haben, werden die beiden Verfahren in Leipzig fortgesetzt.

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