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Die Schramme am Rücken

Ein Kind kommt pro Tag in eine der Kinderschutzambulanzen, die vor einem Jahr eröffneten

  • Ellen Wesemüller
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Kinderärztin überweist einen sechsjährigen Jungen ins Vivantes-Klinikum Neukölln. Die Mutter des Kindes war vorstellig geworden, sie und der Vater beschuldigen sich gegenseitig, dem Kind Gewalt anzutun. Hier, im Kormoranweg 45, hat im April 2016 eine von fünf Kinderschutzambulanzen eröffnet. Kinder- und Jugendärzte, Gynäkologen, Radiologen, Psychologen, Sozialarbeiter und Krankenpfleger versuchen herauszufinden, ob das Kindeswohl der kleinen Patienten gefährdet ist.

Und tatsächlich: Die Experten stellen ältere Verletzungen auf dem Rücken des Jungen fest, die auf Gewalt zurückzuführen sein können. Weil es sein kann, aber nicht sein muss, schreibt die Kinderschutzambulanz einen Bericht. Sie empfiehlt, die Erziehungsfähigkeit der Eltern zu überprüfen, Jugendamt und Familiengericht einzuschalten und das Kind therapeutisch zu begleiten.

Dies ist nur eines von 366 Kindern, die seit Bestehen der Kinderschutzambulanz die Räume der Kliniken in Wedding, Neukölln, Buch, Westend und Tempelhof aufgesucht haben. Nach einem Jahr Arbeit des Modellprojekts tragen heute die Senatoren für Bildung, Gesundheit und Justiz erste Zahlen vor, die belegen, dass die Standorte bereits so angenommen werden wie prognostiziert. »Da haben wir fast eine Punktlandung hingelegt«, sagt Matthias Brockstedt, Leiter der Kinder- und Jugendgesundheitsdienste in Mitte, der die Arbeitsgruppe der Kinderambulanzen geleitet hatte.

Anders als im erwähnten Beispiel konnte das interdisziplinäre Team in über der Hälfte der Fälle eine eindeutige Aussage treffen, ob das Kindeswohl gefährdet ist. Bei 29 Prozent der untersuchten Kinder war dies der Fall, bei 23 Prozent lag hingegen keine Gefährdung vor. »Das ist auch wichtig, festzustellen«, sagt Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Sie hat lange als Erzieherin gearbeitet und spricht aus Erfahrung: »Mir sind Fälle untergekommen, wo Kinder Stromschläge bekommen haben oder stundenlang auf Knien auf einer Holzkante hocken mussten. Das sind Dinge, die man nicht auf den ersten Blick sieht.«

Eltern sollen in diesen Prozess eingebunden werden: Sie werden nach den Begleitumständen der Verletzungen befragt sowie nach Ursachen für Probleme, zum Beispiel Jobverlust. Die Kinderschutzambulanzen melden ihre Einschätzung an das Jugendamt zurück, auch damit müssen die Eltern einverstanden sein. Wenn die Eltern nicht kooperieren, hat das Jugendamt die Möglichkeit, das Kind für den Zeitraum der Untersuchung in Obhut zu nehmen. Dies geschieht aber laut Rainer Rossi, Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin in Neukölln, höchst selten. »Die wissen, im Zweifelsfall würde es eine Entlastung geben. Und sie wissen: Sonst entscheidet das Familiengericht.«

»Die Standorte haben sich etabliert. Diese Arbeit wird fortgeführt«, sagt Dilek Kolat (SPD), Gesundheitssenatorin. Die Anwesenden applaudieren Kinderärzte und Krankenpfleger, sie alle haben lediglich einen auf zwei Jahre befristeten Vertrag.

Brockstedt hat drei Wünsche für die Zukunft. Der Osten der Stadt sei bisher nicht gut ausgestattet: Buch hat hier die einzige Kinderschutzambulanz. Zudem wünscht er sich eine externe Evaluation nach Abschluss des Pilotprojekts, auch, um den Krankenkassen deutlich zu machen, dass es sich beim Kinderschutz um eine Regelleistung handelt, die nicht der Senat zahlen sollte. Denn eins ist klar: Die 366 Fälle sind erst der Anfang. Jährlich begutachten die Jugendämter 12 000 Fälle, über 3300 davon sind uneindeutig. Und Brockstedt sagt: »Die Zahlen im ersten Quartal 2017 sprechen dafür, dass die Fälle weiter steigen.«

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