»Wir wollen Bundesprogramme nutzen«

Senatorin Elke Breitenbach im Gespräch zu Asylunterbringung, Behördenchaos und Arbeitsprogrammen

  • Lesedauer: 5 Min.

Nur noch drei Bundesländer haben Notunterkünfte. Berlin ist trauriger Spitzenreiter mit 13 400 Menschen in solchen prekären Unterkünften. Wann werden die geschlossen?
Es sind im Moment noch knapp 12.000 Menschen, die in Notunterkünften leben, das sind nach wie vor zu viele. 2500 von ihnen müssen noch in prekären Unterkünften wie Hallen und Hangers ausharren. Gerade erarbeiten wir einen Plan, um den Freizug dieser prekären Unterkünfte voranzutreiben. Das hängt aber davon ab, wie die neuen Unterkünfte fertig werden. Aus manch einer Notunterkunft können wir außerdem eine Gemeinschaftsunterkunft machen, indem wir Küchen einbauen und Herde anschließen. Wegen des Brandschutzes ist das übrigens nicht immer so einfach. Die Unterkunft im ICC oder die Hangars am Flughafen Tempelhof werden wir mit als erstes freiziehen.

Hangar 5 bleibt aber als Ankunftshangar bestehen?
Erst einmal ja. Wir werden aber noch mal genau prüfen müssen, ob das sinnvoll ist.

Elke Breitenbach

Elke Breitenbach ist Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales im rot-rot-grünen Senat. Über die weiteren Schritte bei der Unterbringung von Asylsuchenden in der Hauptstadt, das kriselnde Landesamt für Flüchtlingsfragen (LAF) und künftige Integrationsaufgaben sprachen mit Elke Breitenbach die nd-Redakteure Johanna Treblin und Martin Kröger.

Ein weiteres Problem mit den Unterkünften sind die europaweiten Ausschreibungen. Sachsen-Anhalt etwa schreibt Asylheime bereits länger auf diese Weise aus. Warum funktioniert das in Berlin nicht?
Das Geldgeschäft mit den Geflüchteten lief in den vergangenen Jahren ausgesprochen gut, und viele möchten an diesem Kuchen weiterhin beteiligt werden oder neu ins Geschäft kommen. Betreiber haben mir berichtet, dass große Anwaltskanzleien Betreiberfirmen zum Essen einladen und ihnen erklären, wie man gegen europaweite Ausschreibungen klagen kann. Da die hoch kompliziert sind, ziehen Verwaltungen gegen spezialisierte Kanzleien schnell den Kürzeren.

Jetzt sollen externe Berater bei der rechtssicheren Formulierung helfen - wer ist das?
Das ist eine auf Vergaberecht spezialisierte Kanzlei. Den Namen kann ich nicht nennen, das möchte die Kanzlei nicht. Seit Frühjahr dieses Jahres berät sie das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) - voraussichtlich bis Ende des Jahres.

Wäre es nicht einfacher und besser, den kommunalen Betrieb weiter auszubauen?
Erst einmal nicht. Zunächst schauen wir, wie der Betrieb anläuft. Wir haben hier in Berlin auch sehr gute Betreiber, mit denen wir gut zusammenarbeiten. Auf diese Kompetenz - in erster Linie der Wohlfahrtsverbände - wollen wir nicht verzichten.

Rot-Rot-Grün will das sogenannte Generalmieter-Modell einführen. Was genau kann man sich darunter vorstellen?'
Hintergrund ist, dass viele Vermieter an Flüchtlinge vermieten wollen, ihnen aber das Risiko zu groß erscheint. Das gilt übrigens beispielsweise auch für Obdachlose und in der Jugendhilfe. Der Senat will daher selbst Wohnungen anmieten. Dafür brauchen wir eine gemeinsame Lösung mit der Finanzverwaltung. Daran arbeiten wir.

Gibt es einen Zeitplan und wenn ja, wie sieht der aus?
Alles, was neu eingeführt wird, muss in die Haushaltsberatungen. Zum Ende des Jahres wird der neue Doppelhaushalt dann beschlossen.

Sie wollen wieder einen Flüchtlingskoordinator einsetzen. Der ist unabhängig von den Haushaltsberatungen. Kommt der denn?
Wir gendern den jetzt mal. Also einen Flüchtlingskoordinator oder eine -koordinatorin. Erst einmal mussten wir für uns umreißen, welche Aufgaben er oder sie erfüllen soll. Es war immer gut, wenn es uns gelungen ist, eine Kommunikation mit den Bezirken und den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern herzustellen. Wir brauchen also jemanden, der gut organisiert und kommuniziert. Die unterschiedlichen Akteure müssen miteinander vernetzt werden. Das LAF alleine schafft das nicht.

Weil es ein komplizierter Job ist, ist die Suche auch nicht ganz einfach. Jetzt sind wir aber im Gespräch mit mehreren geeigneten Kandidaten. Eine Entscheidung wird es bald geben.

Das LAF sollte eigentlich seit Januar 550 Mitarbeiter haben. Es fehlen aber noch rund 150.
Das stimmt so in etwa.

Viele der Mitarbeiter sind lediglich befristet, auch einige Pensionierte helfen aus.
Ich freue mich immer, wenn das jemand fragt. Denn dann kann ich auf die Erfahrung der Pensionäre und den wichtigen Wissenstransfer hinweisen. Deshalb bin ich dankbar, dass sie im LAF einspringen. Stellenbesetzungen im öffentlichen Dienst sind eine langwierige Angelegenheit. Und beim LAF sagen leider nicht alle »Au ja, da wollte ich schon immer hin«. Das LAF ist schon etwas für Leute mit Mut, die große Herausforderungen schätzen (lacht). Jetzt im Mai sollen weitere Stellen besetzt werden.

War es ein Fehler, das LAF aus dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) mitten in der Krise der Behörde herauszulösen?
Das muss man mich nicht fragen. Ich habe schon in Oppositionszeiten gesagt und ich finde das nach wie vor: Das LAF ist zu einer Unzeit gegründet worden mit dem Ergebnis, dass jetzt LAF und LAGeSo geschwächt sind. Alle im Flüchtlingsbereich Beschäftigten arbeiten schon seit zwei Jahren im absoluten Krisenmodus. Jetzt gibt es das LAF aber und deshalb muss es gestärkt werden.

Der Umzug des LAF in die Darwinstraße sollte 2016 abgeschlossen sein, wann ist es denn tatsächlich soweit?
Der Umzug hat Anfang Mai begonnen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ziehen sukzessive in das neue Bürogebäude. Die Geflüchteten erhalten ihre Leistungen ab 17. Mai nicht mehr in der Turmstraße, sondern am neuen Standort Darwinstraße.

Für die Integration bedarf es nicht nur funktionierender Behörden, sondern auch einer zügigen Vermittlung in den Arbeitsmarkt. Viele Geflüchtete hängen aber in Sprachkursen fest oder machen Praktika.
Unser Landesprogramm »Arrivo« ist richtig gut, zum Beispiel bei der Erfassung der Kompetenzen. Es bedarf aber einer noch besseren Abstimmung und Koordinierung, auch mit der Arbeitsagentur. Wir sind mit Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit im engen Gespräch. Wir wollen Bundesprogramme und -instrumente nutzen, die Sprachförderung mit Praxiserfahrungen und Berufsvorbereitung verbinden.

Branchen mit einem Fachkräftemangel gibt es genug. Welcher Bereich schwebt Ihnen vor?
Der Handel hat sich diesbezüglich offen gezeigt. Wenn es notwendig ist, dass das Land sich beteiligt, werden wir eigene Maßnahmen auf den Weg bringen. Aber gemeinsam mit der Arbeitsagentur, denn es sind Bundesprogramme und ist deren Geld. Geflüchteten immer nur ein Praktikum oder eine Berufsorientierung anzubieten, reicht nicht mehr. Wir müssen jetzt einen Schritt weitergehen. Am Mittwoch haben wir in der Sonderkommission »Ausbildungsplatzsituation und Fachkräftebedarf« Branchengespräche verabredet.

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