Nicht nur Andrzej Wajda
Erstmals gibt es beim Festival »Filmpolska« einen Wettbewerb des jungen polnischen Kinos
90 Jahre alt ist er geworden, der Ende 2016 verstorbene Meister des polnischen Films, Andrzej Wajda. Er war der Inbegriff polnischer Filmkunst im In- und Ausland, spiegelte in seiner Biografie und seinen Filmen die Geschichte Polens wider. Einen Regisseur seines Renommees gibt es derzeit in Polen nicht, dennoch haben sich polnische Filmschaffende in den letzten Jahren international wacker geschlagen: Sie haben einen Auslands-Oscar errungen (»Ida«, 2015) und mit Künstlern wie Malgorzata Szumowska, Tomasz Wasilewski oder Altmeisterin Agnieszka Holland auf Festivals in aller Welt Erfolge gefeiert.
Auf dem mittlerweile zur Institution gewordenen Berliner Festival »Filmpolska« kann man nun einen Querschnitt aktuellen polnischen Kinos sowie Retrospektiven und Workshops erleben. Eines dieser Werke ist der anrührende Dokumentarfilm »Kommunion« von Anna Zamecka. Monatelang hat die Regisseurin eine dysfunktionale Familie begleitet. Während die Mutter ausgezogen und der trinkende Vater von allem Organisatorischen überfordert ist, schmeißt die 14-jährige Ola den Haushalt. Außerdem muss sie mit ihrem 13-jährigen autistischen Bruder Nikodem für dessen Erstkommunion büffeln.
Der jedoch hat seinen eigenen Willen, gehorcht nicht so, wie Priester und Lehrer das von ihm verlangen, und beweist einen oft komischen und zuweilen mit sehr klugen Argumenten operierenden Widerstand. Nie aufdringlich, aber immer fein beobachtend und mit viel Sympathie für ihre Protagonisten filmt Zamecka den Alltag der Familie sowie das mangelnde Verständnis vieler für Nikodem. Dass die wahrhaft heroische Anna viel lieber ungestört tanzen gehen würde, als in ihrem jungen Alter Erwachsenenaufgaben zu übernehmen, zeigt uns der Film ebenso wie ihre Verzweiflung. Vor allem aber lässt er uns Nikodem ans Herz wachsen.
Erstmals in der Geschichte des Festivals gibt es einen sieben Filme umfassenden Wettbewerb des jungen Kinos, über den eine Jury befinden wird. Außerdem ist eine Wajda-Hommage zu sehen und wird die Rubrik »Kamerakunst« dem Kameramann und Dokumentarfilmer Marcin Koszalka gewidmet sein.
Vom Lebensgefühl wohl situierter Internet-Bohémiens handelt »Kamper«. Letzteres ist der Spitzname des etwa 30-jährigen Mateusz, der mit seiner Firma für Computerspiele gutes Geld verdient und mit seiner Frau Mania eine schöne Wohnung in einem Warschauer Vorort bewohnt. Doch kann man als junger Unternehmer immer noch wie ein Student leben? Von der Schwierigkeit, Verantwortung zu übernehmen, von Beziehungsproblemen und Seitensprüngen handelt dieser sehr figurenbetonte Film. Er heftet sich dicht an die Fersen seines Helden und fängt seine inneren Dämonen trotz scheinbar erfüllten Sozial- und Berufslebens ein.
Wie eine Einzelgängerin zur Verbrecherin wurde, erzählt wiederum die auf wahren Tatsachen beruhende polnisch-tschechische Koproduktion »Ich, Olga Hepnarova«. In expressivem Schwarzweiß filmen die Regisseure Tomáš Weinreb und Petr Kazda ihre junge Protagonistin (dargestellt von der Polin Michalina Olszańska), die in der tschechischen Provinz Dienst als Lkw-Fahrerin schiebt und sich von Familie und Umgebung vernachlässigt fühlt. Mit ihrem Fahrzeug wird die 22-Jährige im Juli 1973 acht unschuldige Passanten totfahren und auf eigenen Wunsch dafür mit der Todesstrafe büßen. Der gerade in Zeiten von internationalem Terrorismus beklemmende Film erzählt neutral, beschreibt die unglücklichen Beziehungen der jungen homosexuellen Frau und die sie abfällig behandelnde Gesellschaft ohne die Protagonistin zu diskulpieren. Ein Film, der unter die Haut geht und nachdenklich stimmt.
4.5. bis 10.5., in den Kinos Babylon Mitte, Brotfabrik, Kino Wolf, Arsenal, fsk u.a.; www.filmpolska.de
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