Was Du ererbt ...
Der Dresdener Kulturpalast ist wieder offen und die Philharmonie hat einen fantastischen neuen Konzertsaal
Man kann heute noch froh sein, dass sich in den 1960er Jahren in Moskau nicht nur politisch, sondern auch ästhetisch der Wind gedreht hatte und Dresden von einem Zuckerbäcker-Kulturpalast verschont blieb. Die Pläne für ein 124 Meter hohes Monstrum gab es schon. Stattdessen durfte dann doch der Architekt Wolfgang Hänsch (1929-2013) seinen Ehrgeiz in ein Statement der Ost-Moderne legen, das der Konkurrenz im Westen standhält - aber auch dem stalinistischen Barock, mit dem er rund um den Altmarkt konfrontiert ist. Obwohl der im Vergleich mit der einfallslosen Nachwende-Zweckarchitektur gegenüber dem Kulturpalast, gar nicht mehr so gruselig wirkt.
Den Kulturpalast hat jedenfalls der Denkmalschutz vor dem Dresdner Zurück-zum-Barock-Furor und der Abrissbirne geschützt - inklusive des Wandbildes vom Weg der roten Fahne, auf dem sich das wohl einzige Walter-Ulbricht-Bild findet, das dessen Auslöschung im öffentlichen Raum durch seinen Nachfolger Honecker bis heute überlebt hat!
Eine Zeitung vor Ort hatte die Dresdner um Geschichten gebeten, die sie mit dem Kulturpalast verbinden. Das Echo war überwältigend, Hundert von ihnen waren zur Wiedereröffnung eingeladen. 2017 liegt natürlich der Saal-Vergleich mit der Elbphilharmonie in Hamburg nahe. Auch in Dresden wird es mit 100 Millionen Euro am Ende teurer als geplant. Aber »nur« um vergleichsweise bescheidene zwölf Millionen.
In Dresden sind sie beispielhaft pünktlich fertig geworden. Na sagen wir: so gut wie. Mit Betonung auf gut. Vor allem was den 1800-Plätze-Saal betrifft. Der gleichwohl nicht gigantisch, sondern mit dem Roteicheton der Verkleidung, dem Korallenrot der Sitze und dem Gipsweiß der Decke geradezu intim wirkt. Mit Weinbergprinzip à la Hans Scharouns Philharmonie für die Ränge, ohne den Hamburger Sience-Fiction-Touch, vor allem aber mit einer überwältigenden Akustik. Hier hat man das Wunder nicht versprochen, hier hat man es hinbekommen. So ausgewogen, wohlklingend, ohne lärmige Grenzfälligkeiten und wortverständlich ist das Finale von Beethovens 9. Sinfonie, das bei gleicher Gelegenheit auch in Hamburg erklang, von dort jedenfalls nicht in Erinnerung.
Natürlich war die Melange aus Konzert und Festakt, mit der die Dresdner Philharmonie am Freitag vergangener Woche unter Leitung ihres Chefdirigenten Michael Sanderling ihr neues Domizil in Besitz nahm, vor allem der erste große Testlauf für diese Akustik. Und der wurde glänzend bestanden! Die Stimmen können sich entfalten. Zumindest die luxuriöse des Dresdner Weltklasse-Baritons Matthias Goerne bei seinen drei Schubert-Liedern zu großem Orchester, und dann auch die von Christiane Libor, Silvia Hablowetz und Daniel Kirch, die mit dem MDR Rundfunkchor und dem Chor und Kinderchor der Philharmonie aus dem »Freude, schöner Götterfunken« wirklich musikalischen Genuss und nicht nur staatstragendes Pathos herausholten. Die Streicher klingen warm und raumfüllend. Die Bläser jubeln wie gleich zu Anfang bei Schostakowitschs Festlicher Ouvertüre. Die Piani können bis an die Grenze der Hörbarkeit verebben, so wie es die Violinistin Julia Fischer in ihrem Part von Mendelssohn Bartholdys Konzert für Violine und Orchester e-Moll demonstrierte.
Bei den unvermeidlichen Reden, die dem (natürlich) stolzen Oberbürgermeister Dirk Hilbert folgten, glänzte (überraschenderweise) Wolfgang Schäuble mit Durchdachtem zur Kultur und zur Lage, brillierte die österreichische Kabarettgröße Werner Schneyder mit Wortwitz und nahm Christoph Hein mit seinem Plädoyer für das Haptische und unmittelbar Sinnliche (des Buches) im digitalen Zeitalter ein. Damit waren der Saal, das Kabarett und die Bibliothek, die der Kulturpalast künftig unter seinem Kupferdach vereint, angemessen begrüßt!
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.