Für ein bisschen Luxus

Richard Strauss: «Frau ohne Schatten» an der Berliner und der Hamburgischen Staatsoper

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 5 Min.

Sie dürfen nur eins nicht und nie vergessen: dass die Kaiserin, die Hauptfigur und ihr Schicksal der Hebel des Ganzen ist«, schrieb Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss, schrieb also der Dichter der »Frau ohne Schatten« an den Komponisten. Claus Guth, Regisseur der Berliner Staatsopern-Festtags-Inszenierung der »Frau ohne Schatten«, beachtete diese Anweisung akkurat; Andreas Kriegenburg in Hamburg, wo man eine Woche später zum selben Groß- und Ausnahmewerk griff, ignorierte sie.

Eine Geistertochter, früher gern auch als Vogel oder weiße Gazelle unterwegs, ist die Frau des Kaisers geworden. Noch drei Tage bleiben der Kaiserin, schwanger zu werden und damit einen Schatten zu gewinnen, sonst wird ihr Mann versteinern und sie muss zurück ins Geisterreich. Ihre Amme weiß, dass man nur zu einem Schatten kommt, wenn man ihn einer Menschenfrau abkauft. Diese Frau ist die Färberin, jung und unglücklich zwischen Dreck und Armut bei ihrem Mann Barak. Der ist voller Güte, müht sich um sein Handwerk und weiß nichts von den Seelennöten seiner jungen Frau. Ganz ohne Schönheit, ohne die Ahnung eines Auswegs aus dem Elend und auch ohne Kinder verdorrt sie an innerer Einsamkeit. Für ein bisschen Luxus und einen jungen Liebhaber, denken die Geisterfrauen, sollte man der doch ihren Schatten abhandeln können. In den Handel mischen sich Stimmen von Geistern und Menschen, in der Bratpfanne singende Fische, ein verwundeter Falke, Reisen in fernes Gebirge, Klagen und Sehnsüchte: Symbole und Bilder aus Träumen, die unbedingt nach der Traumdeutung verlangen. Hofmannsthal dichtete sein Märchen, als die Psychoanalyse, als Sigmund Freud und C. G. Jung in aller Munde waren, und schrieb auch an Strauss, dass »Tiefes zur Oberfläche« müsse.

Als hätten sie sich abgesprochen, nahmen beide Regisseure diese Inszenierungseinladung wörtlich und ließen die Handlung als heilsamen Traum ablaufen. Nur legte Claus Guth in Berlin die Kaiserin ins Bett eines luxuriösen Krankenzimmers, groß, halbrund, mit schönem Bogenfenster und in edlem Holz getäfelt, während Andreas Kriegenburg die Färberin zur Hauptperson machte und sie auf ein Matratzenlager warf. Als schwarzgeflügelte Amme taucht die Krankenschwester am Bett der Kaiserin auf und führt sie durch die Welt der Färberfamilie schließlich zu sich selbst. Das von Christian Schmidt entworfene Berliner Bühnenbild verschiebt sich und rotiert ständig um sich selbst, zeigt die Betonwände der Färberwohnung oder feuchte Felsenklippen im Geisterreich und bleibt doch immer der Krankensaal der Kaiserin. Guth bevölkert ihn mit schwarzen Männern, einem riesig gehörnten Steinbock, der weißen Gazelle, dem geliebten Falken. Indem die Kaiserin in höchster Not auf den Schatten der Färberin verzichtet, findet sie zur Menschlichkeit und erlöst sich selbst und ihren schon versteinernden Kaiser gleich mit.

Die Hamburger Färberin erträumt sich aus ihrer niedrigen Hütte heraus eine Geisterwelt weit oben, in der alles weiß und schattenlos ist. In Harald B. Thors Hamburger Bühnenraum verbinden ein Pfeilerwald und eine zentrale Wendeltreppe das Oben und das Unten. Bei Kriegenburg hat die Färberin Albträume mit Klinikbetten, mit Verwundeten, Gequälten. Die Heilung ist eine große Entzauberung. Das Kaiser- und das Färberpaar picknicken im Park, und die gemeinsame Schar der endlich geborenen Kinder vergnügt sich beim Ballspiel. Unten allerdings liegt eine Doppelgängerin der Färbersfrau unheilbar krank im Bett. Das wäre die Lösung, für die sich Strauss und Hofmannsthal mitten im Ersten Weltkrieg nicht entschieden haben.

Drei stimmgewaltige Sängerinnen braucht man für das Werk, die etwa vier Stunden lang ein 120-Mann-Orchester übersingen können, dazu einen mächtigen Bariton und einen Tenor mit energischer Höhe. Wie in Berlin so auch in Hamburg: Es geht kaum besser. Hatte die Berliner Amme, Michaela Schuster, gestisch-psychologisch singend, ihrer etwas divenhaft wirkenden Hamburger Kollegin Linda Watson das Dämonische voraus, so waren sie einander stimmlich ebenbürtig. Camilla Nylund als Berliner Kaiserin sang zweifellos das Schönste beider Abende. Ihre leicht ansprechende, biegsam lyrische Stimme geriet nie auch nur in die Nähe angestrengten Übersteuerns, dennoch dominierte sie mühelos Bühne und Graben. Sie war Strauss/Hofmannsthals Hauptperson in Stimme und Erscheinung. Die ebenfalls großartige Emily Magee in Hamburg kam erst im Laufe der Partie zu ähnlicher Eindringlichkeit und ähnlichem Wohllaut.

Die Hamburger Sensation war das Färberpaar mit Lise Lindstrom als Färberin und Andrzej Dobber als Barak. Rollendebütanten auch sie. Lindstrom verkörpert alles, was der Dichter sich von ihr wünschte, und was Strauss ihr komponierte: bizarr, launisch, mit einer sehr guten Seele, unbegreiflich. Lindstrom sang in all diesen Facetten grandios. Andrzej Dobber verwandelte die Güte seiner Figur in warme Kantilenen, liebte, ohne demütig zu wirken, war durchaus der zwar ältere, aber noch immer Erotik ausstrahlende Mann. Wolfgang Koch in Berlin sang absolut ebenbürtig, spielte aber den deutlich minderen Partner gegenüber seiner Frau Iréne Theorin, ebenfalls vokal ganz vorzüglich. Zwischen diesen beiden herrschte Kälte von Anfang an. Der hauptstädtische Kaiser Burkhard Fritz strahlend heldenhaft, der hanseatische Roberto Saccá elegant leicht, stellenweise mit wunderbarem Mut zum Piano.

Unübertroffen die Berliner Staatskapelle mit Zubin Mehta am Pult. Glanz und Fülle, wunderbare Soli, reintönender Blechbläserklang, glitzernde Märchenfarben, reine Melodieströme, nicht zu knapp, auch kraftvolles Aufblühen. Kent Nagano in Hamburg präparierte mehr die Gegensätze der Stimmungen und musikalischen Welten heraus. Er arbeitete nicht ganz so fein, dafür streckenweise kräftiger, fast gewaltsamer.

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