Das Recht auf tödliche Arznei ist möglich

Umstrittenes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig zur Sterbehilfe

  • Lesedauer: 3 Min.

Das entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 2. März 2017 (Az. 3 C 19.15).

Geklagt hatte ein Mann aus Braunschweig für seine inzwischen verstorbene Ehefrau. Seit einem Unfall im Jahr 2002 war sie vom Hals abwärts komplett gelähmt. Sie musste künstlich beatmet werden und war ständig auf medizinische Betreuung und Pflege angewiesen. Häufige Krampfanfälle verursachten ihr starke Schmerzen.

Fragen & Antworten zum Sterbehilfe-Urteil
Was hat das Gericht genau entschieden?

Das Gericht hat angenommen, dass es Extremfälle von schwer kranken Menschen gibt, die ihrem Leben ein würdiges Ende setzen wollen und für die keiner der in Deutschland legalen Wege - etwa über die Palliativmedizin - gangbar ist. Diesen Patienten dürfe der Staat den Zugang zu einem tödlichen Medikament für einen Suizid nicht wie bisher kategorisch verwehren. Begründet hat das Gericht dies mit dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen.

Ist das Urteil eine Liberalisierung der Sterbehilfe?
Nein. Mit Sterbehilfe habe das Urteil im Grunde gar nichts zu tun, sagt der Gesundheitsrechtler Stefan Huster von der Ruhr-Universität Bochum. An den bisherigen Regeln ändert sich nichts. Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten, passive Sterbehilfe durch das Abschalten von Apparaten und indirekte Sterbehilfe, bei der starke Medikamente Schmerzen lindern und als Nebenwirkung das Sterben beschleunigen, sind zulässig.

Was hat sich mit dem Urteil genau geändert?
Bislang galt aufgrund des Betäubungsmittelrechts ein kategorisches Nein für den Erwerb von Medikamenten zum Zweck der Selbsttötung. Das hat sich mit Blick auf extreme Einzelfälle geändert. Patienten könnten sich jetzt an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wenden und um Erlaubnis zum Erwerb dieser Mittel bitten. Dann müsste dem Urteil zufolge der Einzelfall geprüft werden.

Warum kritisieren Patientenschützer das Urteil?
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, sieht in dem Urteil einen Paradigmenwechsel. »Bisher waren wir uns darüber einig, dass der Staat einen Suizid niemals befördern soll.« Jetzt werde ein gesellschaftliches Signal gesendet, dass Selbsttötung eine normale Option sei. Das sei ein Schlag für die Suizidprävention. Zudem sieht Brysch viele Fragezeichen, wie die Einzelfälle künftig identifiziert und gehandhabt werden sollen.

Welche Regelungen müssen nun bei den Behörden getroffen werden?
Das ist noch offen. Zuständig ist das BfArM, das in dem dem Urteil zugrundeliegenden Fall die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis Betäubungsmittel verwehrt hatte. Vom BfArM hieß es kürzlich dazu, man müsse zunächst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und diese genau prüfen.

Wie viele Menschen sind von dem Urteil betroffen?
Das lässt sich nicht beziffern. Das Gericht hat die Existenz extremer Ausnahmefälle angenommen. Es hat aber gar nicht entschieden, ob die querschnittsgelähmte, pflegebedürftige Frau, um die es bei der Klage ging, ein solcher Fall gewesen wäre. Es besteht Klärungsbedarf. Der Gesundheitsrechtler Huster sagt: »Ich vermute, das wird keine Massenerscheinung werden.« dpa/nd

Ihren Zustand empfand die Frau als unerträglich und entwürdigend. 2004 beantragte sie daher beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Erlaubnis zum Kauf einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung. Das BfArM lehnte dies ab. Daraufhin reiste die Frau 2005 in die Schweiz und nahm sich dort mit Hilfe des Vereins Dignitas das Leben.

Mit seiner Klage verlangte ihr Ehemann die Feststellung, dass die Verweigerung der tödlichen Arzneidosis rechtswidrig war. Bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht meinten allerdings die deutschen Gerichte, der Mann könne nicht klagen, weil er nicht selbst betroffen gewesen sei. Erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg entschied 2012, der Mann habe Anspruch auf eine Entscheidung.

In dem daraufhin wiederaufgenommenen Verfahren blieb der Ehemann in den Instanzen zunächst erneut ohne Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht hob diese Urteile nun auf. Die Verweigerung eines Medikaments zur Selbsttötung sei hier rechtswidrig gewesen.

Zur Begründung verwiesen die Leipziger Richter auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dieses umfasse »auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll«. Voraussetzung sei, dass der Patient »seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln kann«.

Zwar könne nach den gesetzlichen Vorschriften der Kauf tödlicher Medikamente »grundsätzlich« nicht erlaubt werden. Wegen des Selbstbestimmungsrechts müsse es in Extremfällen davon aber Ausnahmen für unheilbar kranke Menschen geben können, »wenn sie wegen ihrer unerträglichen Lebenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen« und wenn es keine palliativmedizinischen Alternativen gebe.

Dies hätte das BfArM prüfen müssen, urteilte das Bundesverwaltungsgericht. Hier sei dies nachträglich allerdings nicht mehr möglich.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte die Entscheidung als »praxisfern«. Denn was objektives Leiden ist, wie das zu messen ist, wie das allgemeingültig zu definieren ist für Juristen, habe das Bundesverwaltungsgericht nicht gesagt, so Vorstand Eugen Brysch. Leiden sei »weder objektiv messbar noch juristisch allgemeingültig zu definieren«. Die Bundesrichter hätten mit ihrem Urteil den Staat verpflichtet, in bestimmten Fällen, »die Selbsttötung für Bürger zu organisieren«.

Zudem beklagte Brysch einen »Schlag ins Gesicht der Suizidprävention in Deutschland«. Es sei »gut, dass der Bundestag im November 2015 die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe verboten hat, sonst würden Sterbehelfer in Deutschland den Tod aus den Gelben Seiten mit Rückendeckung des Bundesverwaltungsgerichts organisieren können«, so Brysch.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) kritisierte das Urteil. Es lasse viele Fragen offen, zum Beispiel die, wer beurteilen solle, ob die Leidenssituation unerträglich und ob die Betroffenen ihre Entscheidung frei und ernsthaft getroffen hätten.

Das im Rechtsstreit unterlegene Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) will zunächst die ausführliche schriftliche Urteilsbegründung abwarten. »Diese werden wir sorgfältig prüfen«, sagte eine Sprecherin in Bonn. Vorher könne noch nicht gesagt werden, welche Konsequenzen aus dem Urteil folgen werden. AFP/nd

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