Grün-weiße Glücksritter
Der 2:0-Sieg der Bremer gegen Darmstadt ist eher ein Zerrbild der Realität
Zunächst konnte es auch Torsten Frings kaum fassen. Nach Schlusspfiff stand der Trainer des SV Darmstadt 98 ein bisschen ratlos auf dem Rasen herum zwischen all den grün-weißen Protagonisten, die sich gerade abklatschten und die der 40-Jährige doch fast alle kannte. Seine Profis in den grell orangefarbenen Trikots sandten indes aus dem Bremer Weserstadion bereits symbolische Bilder des nahenden Abstiegs aus: Antonio-Mirko Colak starrte in den Himmel, Peter Niemeyer hockte auf dem Spielfeld, Jerome Gondorf nahm den Schluck aus der Wasserflasche. Die Mischung aus Enttäuschung und Resignation, Wut und Verzweiflung war beim Tabellenletzten nach dem ziemlich unverdienten 0:2 beim SV Werder mit Händen zu greifen, als sich der dreist feixende Claudio Pizarro zum Trainer der Lilien begab.
Die beiden einstigen Heroen aus besseren Bremer Zeiten plauschten eine ganze Weile - und Frings schien sichtlich zu gefallen, was ihm der in die Jahre gekommene Stürmer der Werderaner sagte. »Claudio hat mir zu unserer Riesenleistung gratuliert«, verriet Frings später, weil es seine These stützte, dass an diesem Nachmittag »nicht die bessere Mannschaft gewonnen hat«. Und vermutlich flüsterte Pizarro noch so etwas wie: »Kopf hoch, Lutscher - bis irgendwann mal wieder!« Auf dieser Bühne sehen sich die beiden vermutlich nicht mehr: Der eine trainiert nächste Saison sehr wahrscheinlich einen Zweitligisten, der andere kickt wohl eher in China oder Katar als in der Bundesliga.
Aus diesem bisweilen bizarren Bundesligaspiel abzuleiten, Darmstadt sei bereits abgestiegen und Bremen gleichzeitig gerettet, wäre womöglich die falsche Schlussfolgerung. »Mit 25 Punkten hat noch niemand die Klasse gehalten«, warnte denn auch Bremens Verteidiger Robert Bauer, der zudem »eine schläfrige erste Hälfte« bemängelte, die schon fast als Bremer Offenbarungseid gelten muss. »Für die erste Halbzeit muss ich mich beim Publikum entschuldigen, für die zweite Halbzeit bei der Mannschaft bedanken«, sagte Trainer Alexander Nouri, der die Begegnung in der Kategorie »ambivalent« verortete. Wenn der angeblich so limitierte Tabellenletzte am Ende bei den Torschüssen, Ecken und Flanken, beim Ballbesitz oder der Laufleistung vorn liegt, kann das kaum allein an der Erwartungshaltung liegen, »die schwere Beine macht« .
Bei den Bremern erschreckte die Mängelliste so sehr, dass der erste Torschuss von Serge Gnabry zum Halbzeitpfiff mit höhnischem Applaus bedacht wurde. Da schien eine Mannschaft ohne Plan angetreten zu sein, denn es klafften riesige Abstände zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen. Die noch vor der Pause verletzt ausgewechselten Zlatko Junuzovic und Clemens Fritz hatten als zentrale Mittelfeldspieler im 4-4-2-System gar keinen Zugriff auf ihre Gegner bekommen. Vermehrte Nachfragen zu einer fehlenden Taktik bügelte Nouri mit einer einzigen These ab: »Der beste Plan hilft nicht, wenn der Aufwand nicht betrieben wird.«
Letztlich verließen sich die nun dreimal erfolgreichen Hanseaten auf die Komponenten, die schon bei der Partie in Wolfsburg in einen merkwürdigen Sieg gemündet hatten: den engen Pakt mit Fortuna und die individuelle Klasse. Nur, dass diesmal nicht der flinke Gnabry den Matchwinner gab, sondern Max Kruse. Der 28-Jährige verwandelte jenen Elfmeter, den Darmstadts Kapitän Aytac Sulu an Pizarro verschuldet hatte (75.) und machte in der Nachspielzeit den Deckel drauf.
»Wenn man jetzt auf die Tabelle schaut, fühlt sich das gut an«, meinte Nouri. Die Frage nur, ob die grün-weißen Glücksritter bei ihrer schlichten Herangehensweise bleiben, wenn es am Freitag zu Bayer Leverkusen geht und danach RB Leipzig kommt. Damit der 37 Jahre alte Nouri bei den Norddeutschen eine Festanstellung über den Sommer hinaus erhält, müssen Fortschritte sichtbar werden. Wie beim Kollegen Frings. »Wir kriegen Komplimente, es ist ganz klar eine Entwicklung zu sehen. Ab sofort spielen wir nur noch für uns: Wir haben noch elf Bundesligaspiele. Das sollen die Jungs jetzt genießen«, sagte er. Dabei musste der tapfere Fußballlehrer einige Male schlucken, klang aber doch ganz gefasst.
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