Das falsche Versprechen

Im Kino: »Die irre Heldentour des Billy Lynn« von Ang Lee ist eine allzu brave Kriegs- und Mediensatire

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Der 19-jährige US-Soldat Billy Lynn (Joe Alwyn) wird bei einem blutigen Irakeinsatz zufällig in Heldenpose gefilmt. Dadurch wird er zu Hause zu einem landesweiten Symbol für den Mut und den Kameradschaftsgeist der US-Besatzungstruppen im Nahen Osten - und zum Protagonisten und Propagandaclown einer zweiwöchigen Jubeltour an der Heimatfront. Die Tournee mündet in einer die Ohren betäubenden und die Augen beleidigenden Megainszenierung in der Halbzeitpause eines Footballspiels. Rund um diesen Höhepunkt durchleidet Billy Pressekonferenzen, Sektempfänge und die Avancen durchtriebener Filmproduzenten, hirnloser Cheerleader oder USA-besoffener Hinterwäldler. Dass Regisseur Ang Lee zu Beginn des Films gekonnt eine schräge und schrille Grundstimmung kreiert, schürt die Hoffnungen, dass hier die leeren Patriotenshows der Kriegstreiber demaskiert werden sollen.

Und so wartet man die ganze Zeit darauf, dass sich der doppelte Boden, der zynische Abgrund, der medienkritische Schlund öffnet, der so zeitraubend und optisch opulent angekündigt wird. Doch es öffnet sich ein ganz anderer Abgrund: einer aus Armee-PR und Kameradenkitsch - also genau jenen Zutaten, von denen man fälschlicherweise erwartet hatte, dass der Film sie persiflieren würde.

Man hört wundersame Dinge über die Herstellung des Films: Er wurde dreidimensional, in extrem hoher Auflösung sowie mit 120 Bildern pro Sekunde (also fünf Mal höher als üblich) produziert. Die Wirkung dieser technischen Finessen muss man sich allerdings fast überall dazudenken, da nur wenige Kinos dafür ausgestattet sind. Zur Pressevorführung jedenfalls gab es nur die abgespeckte Version, es ist aber kaum vorstellbar, dass Auflösung, Bildtaktung und Dreidimensionalität die Schwächen des Drehbuchs von Jean-Christophe Castelli nach dem Bestseller von Ben Fountain ausbügeln können. Auch scheinen Setting und Sujet nicht gerade nach superscharfen und dreidimensionalen Bildern zu schreien.

Man geht mit einem Gefühl aus dem Kino, als sei man einem falschen Versprechen aufgesessen. Denselben halbgaren Eindruck wie der ganze Film hinterlassen auch einzelne Darstellungen. Zwar gibt Joe Alwyn den jungen Zufallshelden Billy Lynn mit der angemessenen Mischung aus Naivität und Zweifeln, überzeugt Steve Martin in einer kleinen Rolle als skrupelloser Produzent, stattet Kristen Stewart Billys armeekritische Schwester mit glaubhafter Leidenschaft aus und schwanken die Darsteller von Billys Armee-Einheit zwischen Holzhammerhumor und Sentimentalitäten. Doch sind sie alle weit entfernt von virtuosen, wirklich beeindruckenden Momenten und fügen sie sich einfach nicht zu einem Ganzen.

Es gibt hier und da starke Szenen und vielversprechende Ansätze: In Rückblenden werden Familienszenen und Kriegssituationen gezeigt, die Action ist ebenso routiniert inszeniert wie die gesellschaftlichen Diskussionen am Küchentisch oder der Show-Gigantismus im Footballstadion. Und dennoch führt diese merkwürdige Heldentour des Billy Lynn geradewegs in die Bedeutungslosigkeit.

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