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Vom Paradies ins Teufelsloch

Das erste öffentliche Straßenverzeichnis Nordrhein-Westfalens offenbart interessante Fakten über die Namen

  • Carolin Scholz, Köln
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer würde nicht gerne im Paradies leben? Lieber als im Teufelsloch doch allemal. Beides ist in Nordrhein-Westfalen möglich: In acht Kommunen gibt es Straßen, die nach dem Paradies benannt sind, das Teufelsloch hingegen gibt es nur in Bad Münstereifel - ein Zufall?

Knapp 200 000 Straßen und Wege gibt es in NRW. Sie tragen 95 667 unterschiedliche Namen. Die Gartenstraße kommt am häufigsten vor (in 340 von 396 Kommunen). Zum Standardprogramm zählen außerdem die Schulstraße (315), die Bergstraße (308) und die Bahnhofstraße (305). »Viele Straßennamen sind noch aus Zeiten der Stadtgründung erhalten«, sagt Martin Lehrer, Sprecher des Städte- und Gemeindebunds NRW.

Der Westdeutsche Rundfunk ist den Straßennamen in einem Datenprojekt auf die Spur gegangen. »Anlass war, dass das Land die Geobasisdaten freigegeben hat«, erklärt WDR-Redakteur Torsten Fischer, der mit dem Projekt betraut war. Bislang habe es kein kostenfreies, landesweites, öffentliches Straßenverzeichnis gegeben. Mit der Freigabe der Daten haben sich Fischer und seine Kollegen an die Auswertung gemacht und verschiedene Suchanfragen programmiert, die die Namen einordnen, Gemeinsamkeiten feststellen und zu bestimmten Themen Antworten liefern sollten. So sind interaktive Karten entstanden, die der Sender ins Internet gestellt hat.

Zum Beispiel zu umstrittenen Straßennamen, die nach Personen aus der Nazizeit benannt sind. Im Vergleich der Städte gebe es dort interessante Auffälligkeiten. »Sieht man auf die Karte, merkt man zum Beispiel: Köln ist sauber«, erklärt Fischer. Hier gebe es keine umstrittenen Namen. Eine Person, die zu vielen Diskussionen führt, ist beispielsweise Paul von Hindenburg - noch 65 Straßen und Plätze in NRW sind nach dem früheren Reichspräsidenten benannt. Nicht jede Stadt ist damit glücklich: Münster beispielsweise hat in einem aufwendigen Verfahren und nach 15 Umbenennungsanträgen den Hindenburgplatz zum Schloßplatz gemacht.

Auch viele kuriose Straßennamen sind aufgetaucht. In Neuss gibt es eine Schabernackstraße. Mit Lausbubenstreichen habe der Name aber nichts zu tun, sagt Stadtsprecher Tobias Spange. »Der Name kommt von dem Wort Schavernath und geht auf eine alte Schöffen- und Ratsfamilie zurück.« Das passende lateinische Wort »Scabinaticum« bedeute »Schöffengut«. Auch die Straße »Neue Liebe« in Essen hat eine weniger romantische Geschichte als vermutet. Die Straße bekam den Namen von der Baugenossenschaft »Neuland«, die im Februar 1950 gegründet wurde. »Das war eine Genossenschaft von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen, die preiswertes Wohneigentum für ebendiese Personengruppe schaffen wollte«, zitiert Stadtsprecher Martin Rätzke aus dem Buch »Essener Straßen«. Zwei Straßen hätte die Gruppe benannt, neben der »Neuen Liebe« auch »Neuland«. »Der Name drückt aus, dass hier für Verlorengegangenes etwas Neues geschaffen werden sollte.«

Weshalb es in Wuppertal die Straße »Paradies« gibt, ist unbekannt. Marion Werner, die am WDR-Projekt beteiligt war und zu Straßennamen geforscht hat, glaubt, dass es in der Nachkriegszeit eine »Tendenz zur Verdrängung und die Sehnsucht nach einer heilen Welt« gab. Deshalb wurde wohl in Köln eine Straße »An der Paradieswiese« genannt.

Auch die Länge der Straßennamen hat der Sender untersucht. An der Spitze steht der Bochumer »Platz des Friedens und der Völkerverständigung« mit 46 Textzeichen, gefolgt vom Krefelder »Platz der Wiedervereinigung 3. Oktober 1990«.

Neben den interaktiven Karten können Nutzer auf der WDR-Seite sehen, wie häufig bestimmte Straßennamen in NRW vorkommen. dpa/nd

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