Verhandlungsstillstand bei Charité und Vivantes
Beschäftigte erwägen Streiks und Aktionen, um Tarifgebundenheit bei Tochterunternehmen endlich durchzusetzen
«Bisher ist der vermeintliche Politikwechsel in Berlin an der CFM noch nicht angekommen», sagt Gewerkschafter Kalle Kunkel (ver.di) in der vergangenen Woche bei einer Warnstreikaktion von Beschäftigten der Charité-Tochter Facility Management (CFM). Seit Gründung der CFM vor mehr als zehn Jahren gibt es dort keinen Tarifvertrag, seit Sommer 2016 verhandelt die Gewerkschaft ver.di mit der CFM-Geschäftsführung. Mehrfach fanden in den letzten Monaten Warnstreiks statt. ver.di fordert, dass der Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes (TVöD) für die CFM übernommen wird. Der TVöD gilt in Form eines Haustarifvertrages für die direkt bei der Charité Angestellten, nicht aber für die Beschäftigten der Tochtergesellschaft, die viel niedrigere Löhne erhalten.
Der rot-rot-grüne Senat unterstützt die Forderung von ver.di - zumindest in Worten. Im Koalitionsvertrag heißt es, man setze sich dafür ein, «dass auch für Landesunternehmen und ihre Tochterunternehmen, die bisher noch nicht tarifgebunden sind, zügig mit dem Ziel der Angleichung an den TVöD Tarifverträge abgeschlossen werden». Bei vielen Betroffenen hat dieses Bekenntnis Hoffnungen, aber auch Erwartungen ausgelöst. In der vergangenen Woche bekommen die Streikenden von der CFM kurz den Regierenden Bürgermeister und Charité-Aufsichtsratsvorsitzenden Michael Müller (SPD) zu Gesicht, als er auf dem Weg zu einer Aufsichtsratssitzung ist. Der Streik, so ver.di, sei auch ein Signal an Müller, die gemachten Versprechen ernst zu nehmen.
Denn Koalitionsvertrag hin oder her: Die Tarifverhandlungen gestalten sich schwierig. Laut ver.di hat die CFM-Geschäftsführung in den Gesprächen am 23. Januar erklärt, sie bekomme von ihrem Mutterunternehmen Charité - zu 100 Prozent im Besitz des Landes Berlin - keine Spielräume für eine Angleichung an den TVöD.
CFM-Sprecherin Silvia Axt sagt dagegen, man habe ein Angebot für einen Tarifvertrag mit höheren Löhnen unterbreitet. Durch eine Anwendung des TVöD aber würden «in 2017 Mehrkosten von 29,5 Millionen Euro entstehen, welche durch die vertraglichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von Charité und CFM nicht gedeckt werden können». Eine ähnliche Situation wie an der Charité herrscht beim landeseigenen Krankenhauskonzern Vivantes. Auch hier gibt es tariflose Tochtergesellschaften, für die ver.di den TVöD anstrebt - oder wenigstens Vereinbarungen für einen Weg dahin. Bei der Vivantes Service GmbH (VSG) wird darüber seit fast einem Jahr verhandelt, bisher ergebnislos. Auch hier dachten viele Beschäftigte, dass nach den Wahlen eine Wende bevorsteht, stattdessen gerieten diese Verhandlungen ebenfalls ins Stocken. «Der Arbeitgeber hat die Tarifverhandlungen für beendet erklärt», gab ver.di am vor Kurzem bekannt.
Vivantes-Sprecherin Kristina Tschenett sagt dem «nd», die Tarifverhandlung seien im Dezember lediglich unterbrochen worden. «Nach einem Wechsel der Verhandlungsführung bei ver.di wurden grundsätzliche Eckpunkte aus den mehrmonatigen Verhandlungen wieder infrage gestellt. Inzwischen ist eine Fortsetzung der Verhandlungen mit ver.di für den Februar avisiert.»
Laura Beckmann vom Bündnis «Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus», das sich für Tarifverträge für alle Krankenhausbeschäftigten einsetzt, kritisiert vor allem die politisch Verantwortlichen. «Der Verhandlungsstillstand bei VSG und CFM ist ein echtes Armutszeugnis der Koalition», sagt sie. Mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller, Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen und Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (alle SPD) sitzen genau jene Leute in den Aufsichtsräten der Charité und Vivantes, die im Koalitionsvertrag die Angleichung an den TVöD versprochen haben. Dort würden die SPD-Politiker aber keinen politischen Willen zeigen, die Versprechen auch umzusetzen.« Daher, so Beckmann, müsse die Politik dazu bewegt werden, ihr Wort zu halten, »mit Streiks und öffentlichen Aktionen«.
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