Hiroshima und Haneke

Emmanuelle Riva ist tot

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Jeder von uns siedelt möglicherweise - ohne es zu ahnen - in jenem entsetzlichen Schicksal, das in diesem Film sehr schnell zur klaren Ansage wird: Schlaganfall, fehlerhafte Operation, Verlust der Selbstkontrolle, Siechen, Pflege (die das Siechen nicht aufhält). Elend also, täglich mehr Elend. Dann ein Schluss, den niemand will, aber keiner aufhält.

»Liebe«, der Film von Michael Haneke von 2012. Eine Erzählung vom schonungslosen Ausgeliefertsein eines alten Paares ans Abschiednehmen. Oscarnominiert. Mehrfach preisgekrönt. Vor allem: durch zwei Schauspieler gekrönt. Jean-Louis Trintignant - und Emmanuelle Riva als Anne. Deren fortschreitende Unkenntlichkeit, ihr immerwährendes Hilferufstammeln, ihr stummer Widerstand gegen eine Existenz, die keine mehr ist - Emmanuelle Riva gibt dieser Frau im Verebben eine nahezu japanische Kirschblütenzartheit, die abstürzt ins Verlustgrauen. Herzgreifend, wie die Riva den Trotz der Ehre spielt, die peinliche Berührtheit, wenn ihr der Leib entgleitet, wie sie einen letzten Zorn über ihre Schwäche aufbietet - in einem lippenverbissenen Verhärten, in mürrischem Kopfrucken. Das alles aber gleichzeitig so unfassbar fein, ja hauchhaft.

Liebe: Sie schafft ein antreibendes Gedächtnis für einen Wert der Gemeinsamkeit, der in schwersten Stunden alles Getön abschüttelt und nurmehr eine streichelnden Hand ist, ein langer trauriger Blick, der dem Schrecken des Verfalls im Gesicht des geliebten Menschen standhält. Trintignant und Riva spielen das in einer atemberaubenden Folge winzigster Regungen. Liebe: das Prüfungsfeld in Zeiten ewiger Cholera, die nur immer ihren Namen ändert. »Hiroshima, mon amour« von Alain Resnais (Drehbuch: Marguerite Duras) wurde 1959 zum Meisterstück der Nouvelle Vague. Mit dem Film, der die Hauptdarstellerin Emmanuelle Riva zur Weltberühmtheit erhob, lieferte der Regisseur eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit dem Grauen nach dem Abwurf der Atombombe. Die Riva spielte eine Französin, die einem japanischen Architekten begegnet - in der Intimität und Scheu dieser verwehenden Liebesaugenblicke eröffnete sich, gleichsam in schreiender todvoller Stille, das Erlösungsflehen des modernen Menschen.

Emmanuelle Riva, 1927 geboren, galt (in Werken von Franju, Melville, Kieslowski) als Frau von Verve und Verletzlichkeit. Sie erlebte lange Strecken der bloßen filmischen Konvention, aber in den besten Rollen gelang ihr über Wunden ein Narbenwuchs, der sie verschönte. Sie konnte den Schmerz mit einem Verschweigen adeln, das diesen Schmerz freilich nicht aufhob. Frauentapferkeit. Das heißt: andere im Glauben lassen, alles sei leicht. Aber weiter leiden. Aus Liebe. Das Lieben hat sie so gespielt, dass sich die Welt bedanken darf: Sie wurde in diesem Spiel mehr geliebt, als sie vielleicht geliebt werden sollte.

In einem Monat wäre Riva, die auch Gedicht- und Bildbände veröffentlichte, neunzig geworden. Nun ist sie in Paris gestorben.

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