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Abwasser bis zum Hals

Sachsen-Anhalt: Nach dem Altanschließer-Urteil droht eine Flut von Beitragsforderungen

  • Lesedauer: 3 Min.

Magdeburg. Nach der Entscheidung des Landesverfassungsgerichts von Sachsen-Anhalt im Streit um Abwasseranschlüsse strebt die Landtagsfraktion der LINKEN eine Gesetzesänderung an. Die Belastungen müssten hier gleichmäßiger verteilt werden, sagte Fraktionschef Swen Knöchel der dpa. Für die Zukunft seien dafür neue Regelungen zu finden und das entsprechende Kommunalabgabengesetz zu novellieren.

Am Dienstag war die oppositionelle LINKE mit ihrem Antrag gegen nachträgliche Bescheide für alte Abwasseranschlüsse vor dem Landesverfassungsgericht gescheitert. Die Richter in Dessau-Roßlau wiesen den Vorstoß ab und erklärten die geltende Regelung für verfassungskonform. Das Land hatte 2014 im Kommunalabgabengesetz erstmals festgelegt, dass Beiträge höchstens zehn Jahre nachträglich erhoben werden können. Bisher wird etwa der Beitrag für einen Anschluss ans Abwassernetz nach der Grundstücksgröße berechnet. Das führt zu einer großen Spanne der Forderungen - von wenigen Hundert bis zu zehntausend Euro. Auch ein anderes Modell zur Refinanzierung von Anlagen sei denkbar, sagte Knöchel. Zudem hätten Abwasserverbände mit überdimensionierten Anlagen und klammen Kassen zu kämpfen. Dafür will die LINKE Lösungsvorschläge diskutieren.

Nach der Entscheidung des Landesverfassungsgerichts müssen sich zunächst aber Zehntausende Haushalte in Sachsen-Anhalt darauf einstellen, dass Zweckverbände offene Beiträge für alte Abwasseranschlüsse nachträglich eintreiben.

Die Klage der LINKEN hatte sich insbesondere gegen die erstmals festgelegte Verjährungsfrist für Anschlussbeiträge von zehn Jahren und den entsprechenden Passus gerichtet. Um den Zweckverbänden die Möglichkeit zu geben, bisher nicht erhobene Beiträge auch in älteren Fällen noch erheben zu können, wurde eine Übergangsfrist bis Ende 2015 gewährt. In dieser Zwischenzeit konnten noch Ansprüche für Anschlüsse seit 1991 geltend gemacht werden. Das führte zu einer Flut an Forderungen. Laut dem Verband Deutscher Grundstücksnutzer wurden allein 2015 rund 78 000 Bescheide mit einem Volumen von 77 Millionen Euro verschickt. Knapp die Hälfte der Haushalte legte dagegen Widerspruch ein. Kritiker führten an, dass mit der Zwischenregelung für Altfälle der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt werde. Das Landesverfassungsgericht sieht das anders: Der Vertrauensschutz sei nicht verletzt, da jedem Haushalt bewusst gewesen sein müsse, dass die noch nicht gezahlten Anschlussbeiträge auch noch nachträglich erhoben werden könnten. Mit der Entscheidung endet die Empfehlung von Innenministerium und Landtag an die Zweckverbände, bis zur höchstrichterlichen Klärung des Streits auf das Kassieren offener Beiträge zu verzichten. »Wir haben jetzt eine klare Rechtslage und Rechtssicherheit«, sagte Innenminister Holger Stahlknecht zu dem Urteil. Damit müssten die Zweckverbände nunmehr die Beiträge eintreiben, andernfalls könne das als Haushaltsuntreue gewertet werden. Er könne verstehen, dass das Urteil für einige Menschen im Land schwierig sei.

Es sei richtig gewesen, das Landesverfassungsgericht anzurufen, auch wenn der Antrag keinen Erfolg gehabt habe, sagte der LINKEN-Fraktionschef Knöchel. »Wir haben jetzt Rechtsklarheit.« Doch auch jetzt seien Regelungsänderungen für nachträgliche Beiträge eine umstrittene Frage.

Der Streit könnte vor Gericht weitergehen. Dem Verband Deutscher Grundstücksnutzer zufolge reichte eine Betroffenen aus Sachsen-Anhalt bereits Klage beim Bundesverfassungsgericht ein. Die obersten Richter in Karlsruhe hatten vor wenigen Jahren bereits den Streit um Altanschließer aus Brandenburg auf dem Tisch. Hier hatten die vorherigen Instanzen die Regelungen für rechtmäßig erklärt - die Karlsruher Richter kippten sie dann. dpa/nd

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