»Ich wollte niemanden verletzen«
EU-Haushaltskommissar Oettinger entschuldigt sich für »Schlitzaugen«-Bemerkungen bei Anhörung im EU-Parlament
Er wusste, was auf ihn zukam, und er meisterte die Schwierigkeit mit einer bewährten Taktik: Angriff ist die beste Verteidigung. So ging Günther Oettinger (CDU) seine Befragung durch Abgeordnete des Europaparlaments am Montagabend an. Auf dem Spiel stand seine Ernennung als neuer EU-Haushaltskommissar - ein Amt, das er bereits seit wenigen Tagen ausübt.
Nachdem die Bulgarin Kristalina Georgieva im Oktober bekannt gegeben hatte, dass sie im Januar zur Weltbank wechseln werde, wurde Oettinger zu ihrem Nachfolger ernannt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte das so bestimmt. Nach Energie und Digitales sollte also Haushalt zum dritten Aufgabengebiet des ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg werden.
Doch einfach nur ernennen konnte Juncker Oettinger nicht. Der Schwabe musste sich noch - mehr der Form halber als tatsächlich um seine Ernennung fürchten zu müssen - einer Befragung durch Europa-Abgeordneten stellen. Zuständig waren in diesem Fall die drei Fachausschüsse, die Oettingers künftige Themenfelder abdecken: Haushalt, Haushaltskontrolle und Recht. Fast ein Heimspiel also für den 63-Jährigen, der selbst als Anwalt tätig und Geschäftsführer in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gewesen war.
Vor der ersten Frage durfte Oettinger zehn Minuten reden. Eine Chance, die er meisterhaft nutzte. Die schwerste Klippe war dabei gar nicht zu zeigen, dass er sich in die neuen Themenfelder Haushalt- und Personalpolitik einarbeiten kann und mit ihm als fachkompetenter Kommissar zu rechnen ist. Das hatte Oettinger schon bei Energie und Digitales gezeigt. Vielmehr ging es um die Vorwürfe der Lobbyhörigkeit und der umstrittenen Äußerungen über Chinesen und Homosexuelle in einer Rede vom vergangenen Oktober in Hamburg.
Kann jemand, der sich so abfällig über Menschen äußert, für Aufgaben geeignet sein , zu denen auch die Personalpolitik in der EU gehört? Zumal angesichts der wachsenden EU-Skepsis in der Bevölkerung? »Es war und ist nicht meine Absicht, irgendjemanden mit Bemerkungen zu verletzen. Und ich bedaure diese Ausdrücke von damals ausdrücklich«, sagte der Schwabe von sich aus. Und wenn er im Transparenzregister der EU mit mehr Treffen mit Interessensvertretern zu finden sei als andere Kollegen, so solle ihm daraus doch keiner einen Vorwurf machen. »Niemand soll sagen, dass ich faul bin«, sagte Oettinger. Er wolle jeden Anhören, »der Argumente hat«. Das gehöre nach seiner Auffassung zur guten Arbeit eines Kommissars dazu.
Die Überrumpelungstaktik mit dem offensiven Mea Culpa zeigte Wirkung. Die meisten Abgeordneten stellten in der Folge inhaltliche Fragen zu Oettingers künftiger Arbeit, die der Schwabe bereits ziemlich fachkompetent beantwortete. Seine Skandale, zu denen auch ein Flug im Privatjet eines ehemaligen Daimler-Managers und russischen Honorarkonsuls zu einem Abendessen mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban gehört, wurden kaum noch angesprochen.
Trotzdem waren am Ende nicht alle überzeugt. Die irische Dennis De Jong von der Linken-Fraktion bedauerte, dass Oettinger wohl auch in seiner neuen Rolle von seiner bisherigen Politik nicht abrücken werde, vor allem das »Big Business« zu unterstützen. Und am Dienstag bemängelten die Sozialdemokraten im EU-Parlament in einer Mitteilung, dass Oettingers Antworten über erhöhte Transparenz und Lobbying »besonders schwach« waren. Konsequenz: Die Sozialdemokraten sprechen sich dagegen aus, dass der neue Haushaltskommissar Oettinger auch für Personalfragen verantwortlich sein soll und den Posten eines der Vizepräsidenten erhält. »Die Sozialdemokraten glauben nicht, dass Kommissar Oettinger Vizepräsident werden oder das Ressort Personalwesen bekommen sollte«, heißt es in der Mitteilung.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.