Der Westen wird der Ukraine müde
Das Land muss sich auf ein schweres Jahr einstellen - innen- wie außenpolitisch
Das sollte Mut machen für 2017: »In diesem Jahr haben wir einen weiteren Schritt in Richtung Europa gemacht.« So bilanziert der ukrainische Präsident Petro Poroschenko optimistisch 2016. Einiges gibt ihm Recht: Die Aufhebung der Visumpflicht für Ukrainer ist so gut wie durch, auch wenn die Akzeptanz der EU in der Ukraine stark gelitten hat.
Während die EU und andere westliche Staaten die Ukraine weiterhin öffentlich unterstützen und die Sanktionen gegen Russland verlängern, wächst jedoch die Unzufriedenheit mit der Politik Kiews. Aus Sicht der westlichen Partner tut das Land zu wenig im Kampf gegen Korruption. Wichtige Reformen kommen nur zustande, wenn der Druck von außen groß genug ist. »Der Westen ist müde - und zwar nicht wegen der Konfrontation mit Russland, sondern wegen fehlender Entwicklung innerhalb der Ukraine«, glaubt der Kiewer Politologe Kost Bondarenko.
Das ist aber längst nicht das einzige Problem, mit dem Kiew zu kämpfen hat. Noch vor kurzem haben Warschau und Washington die Ukraine bedingungslos unterstützt. Doch diese Zeiten scheinen vorbei zu sein. Die Beziehungen mit der nationalkonservativen PiS-Regierung in Polen haben sich 2016 vor allem aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen zur Geschichtspolitik, in erster Linie wegen der Massaker an Juden in Wolhynien und der Rolle der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), deutlich verschlechtert. Zwar gibt es keine Zweifel, dass Warschau Kiew weiterhin unterlstützen wird, der polnische Blick auf die Ukraine ist jedoch deutlich skeptischer geworden.
Noch größere Sorgen bereitet den Politikern in Kiew die Entwicklung der US-amerikanischen Außenpolitik nach dem Wahlsieg von Donald Trump. »Ich bin mir absolut sicher, dass Washington die Linie der vollen Ukraine-Unterstützung auch unter Trump nicht verändern wird«, betont der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin. Doch es herrscht in Kiewer Machtkabinetten Unsicherheit.
»Niemand weiß, wie Trump wirklich regieren wird«, sagt der Politologe Bondarenko. »Und genau das ist die größte Gefahr. Zwar kann er die Ukraine nicht aufgeben, doch es ist nicht klar, ob die Unterstützung genauso bleibt.« Es ist ein offenes Geheimnis, dass vor allem ohne Washington die wenigen Reformen, die die Ukraine doch durchgeführt hat, praktisch unmöglich gewesen wären. US-Vizepräsident Joe Biden hielt Kontakt zu Poroschenko und verfolgte sehr genau die Entwicklung.
Neben der ungünstigen außenpolitischen Lage konnte die Ukraine weder im Donbass-Konflikt noch in der Krim-Frage ihre Situation verbessern. Im Osten bleibt Kiew auch 2017 in einer Pattsituation: Zwar muss die Ukraine das Minsker Abkommen erfüllen, doch während Minsk II das Schlimmste im Donbass verhinderte, bieten die Vereinbarungen von Februar 2015 wenig Grundlage für einen produktiven Kompromiss. So bleibt eine erfolgreiche Abstimmung sowohl für den Sonderstatus als auch für ein neues Wahlgesetz für den Donbass im ukrainischen Parlament in den ersten Monaten 2017 unwahrscheinlich.
Während im Westen der Eindruck entsteht, der Krieg im Donbass verwandle sich langsam in einen eingefrorenen Konflikt, sieht die Wirklichkeit anders aus. Obwohl die dortige Situation international keine großen Schlagzeilen mehr macht, eskalierte der Konflikt in der ostukrainischen Region mehrmals - zuletzt im Dezember. Auch in dieser Hinsicht gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Lage sich in naher Zukunft ändern wird.
Die von Russland annektierte Halbinsel Krim entfernt sich derweil immer weiter von der Ukraine. Das offizielle Kiew unterstreicht zwar bei jeder Gelegenheit, die Krim sei ein Teil der Ukraine, doch die Schwarzmeerhalbinsel gehört offenbar nicht mehr zu den Themen, die den Präsidenten Poroschenko und sein Team in erster Linie beschäftigen.
Die Regierung konzentriert sich stärker auf innenpolitische Aspekte. Während Poroschenko als Präsident immer noch alternativlos zu sein scheint, sind seine Beliebtheitswerte 2016 erneut deutlich gesunken. In den aktuellen Umfragen liegt sogar die Vaterlandspartei von Julia Timoschenko vorn. Auch sonst läuft es für den Präsidenten unruhig. Der nach London geflohene Rada-Abgeordnete Olexander Onyschtschenko spielte dem FBI vor kurzem angebliche Beweise zu, die zeigen sollen, wie Poroschenko mit finanziellen Zuwendungen Abstimmungen im ukrainischen Parlament beeinflusst hat.
Eine weitere Gefahr für Poroschenko heißt Michail Saakaschwili. Der georgische Ex-Präsident ist vor kurzem als Gouverneur von Odessa zurückgetreten - und warf Poroschenko vor, die Korruption in der Ukraine angeführt zu haben. Am Ende des Jahres gründete Saakaschwili eine neue Partei, die »Bewegung neuer Kräfte«, die die ukrainische Politik verjüngen soll. Die Erfolgsaussichten der Saakwahschili-Partei bleiben fraglich. Klar ist dennoch: Die »Bewegung neuer Kräfte« wird Poroschenko zusammen mit anderen Parteien noch härter als früher angreifen. All das wird wohl dafür sorgen, dass der Ukraine auch in 2017 ein unruhige Zeiten bevorstehen - sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik.
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