Noch 1600 Flüchtlinge in Turnhallen

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.

Rund 17 500 Geflüchtete haben Weihnachten und Silvester weiterhin in einer Notunterkunft verbracht. 1600 von ihnen leben noch immer in 17 Turnhallen. »Wir haben die Feiertage jetzt schon zum zweiten Mal im Heim erlebt«, sagt Mufed Tapany dem »nd«.

Tapany wohnt mit seinen Geschwistern und seiner Mutter in einer Turnhalle am Hüttenweg in Dahlem. Mitte Dezember hatte er mit rund 40 anderen Bewohnern gegen die Unterbringung protestiert (»nd« berichtete). Wegen der Kälte gaben sie den Protest bald auf. Geschlossen wurde die Unterkunft nicht. Eine Niederlage ist das für Tapany trotzdem nicht: »Es ist ein Erfolg, dass mehrere Turnhallen geschlossen wurden.« Er hofft, dass auch seine Unterkunft bald dazu gehört.

In einem Informationsbrief zum Jahreswechsel kritisierte das Willkommensbündnis für Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf, dass manche Geflüchtete seit mittlerweile mehr als einem Jahr in Turnhallen leben müssen. »Solche Unterkünfte dienen nicht der Integration und nutzen niemandem«, heißt es. Für die dort lebenden Menschen sei auch die ständige Ungewissheit schwierig, wie es mit ihnen weitergehe: »Vom Berliner Senat erfahren sie immer wieder neue Termine über ihren Auszug und den Einzug in andere, bessere Unterkünfte.«

Zunächst sollten alle ursprünglich 61 Turnhallen im Sommer 2016 freigezogen werden. Doch nachdem der Senat im Juni die ersten Containerdörfer ausgeschrieben hatte, gab es mehrere Klagen von Mitbewerbern. Unter anderem deshalb verzögerte sich der Umzug. Es gab Nachbesserungen und weitere Klagen.

Nach Amtsübernahme des neuen rot-rot-grünen Senats kündigten Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) und Sozial- und Integrationssenatorin Elke Breitenbach (LINKE) als eine der ersten Amtshandlungen an, die Turnhallen bis Jahresende leerzuziehen. Breitenbach berief sich auf das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG), sprach von einer Notlage und erklärte, drohende Gefahren müssten abgewehrt werden. »Die Gewalt nimmt zu, es kommt zu Drogen- und Alkoholexzessen«, sagte Breitenbach Mitte Dezember. »Bis Ende des Jahres wird es baulich ausreichend Kapazitäten geben, um alle Turnhallen freizuziehen«, versprach zudem Kollatz-Ahnen.

Die Rechnung ging jedoch nur zum Teil auf. Während im November noch 38 Hallen belegt waren, sind es jetzt nur noch 17. Kurz vor Weihnachten ließ der neue Senat neun Turnhallen schließen. Die meisten Bewohner kamen in zwei neue Gemeinschaftsunterkünfte: ein altes Bürohaus in der Heerstraße in Charlottenburg und ein Containerdorf in der Wollenberger Straße in Hohenschönhausen. Einzelne Geflüchtete wurden nach Angaben von Unterstützern aber auch in andere Notunterkünfte wie das Heißluftzelt in der Kruppstraße in Moabit verlagert.

Für Tapany hat die Erklärung der Notlage noch keine Besserung gebracht. Nach aktuellen Informationen wird er noch bis März am Hüttenweg ausharren müssen. »Sie müssen bald etwas für uns tun«, fordert der Iraker. Ein drittes Weihnachten will er nicht in einer Turnhalle verbringen müssen.

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