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Holm bleibt vorerst Staatssekretär

Stadtinitiativen und Bürgerrechtler fordern, ihn im Amt zu behalten / R2G-Koalitionsausschuss bleibt nach stundenlanger Debatte uneins und will Untersuchung abwarten

  • Ellen Wesemüller
  • Lesedauer: 6 Min.

Update 24.00 Uhr: Rot-Rot-Grün will Untersuchung zu Holm abwarten
Der wegen seiner Stasi-Vergangenheit umstrittene Berliner Staatssekretär Andrej Holm bleibt vorerst im Amt. Das ist das Ergebnis einer Sitzung des rot-rot-grünen Koalitionsausschusses am Freitagabend im Roten Rathaus. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur gab es bei dem dreieinhalbstündigen Treffen heftige Diskussionen über den Umgang mit Holm. Am Ende konnten sich SPD, Linke und Grüne nicht auf eine gemeinsame Linie verständigen. Die Linke hielt an dem von ihr nominierten Staatssekretär fest. Nach dpa-Informationen erklärte Bürgermeister Müller zusammenfassend, die Personalie sei Sache der Linken. Holm steht vor allem deshalb in der Kritik, weil er über seine Stasi-Tätigkeit in der Wendezeit falsche Angaben machte. Der Koalitionsausschuss will zunächst das Ergebnis der Untersuchungen zu Holms Vergangenheit und seinem Umgang damit durch die Stasi-Unterlagenbehörde sowie durch die Humboldt Universität Berlin abwarten, wo der Soziologe bisher gearbeitet hat.

Update 23.30 Uhr: Koalitionsausschuss auch nach Stunden ohne Ergebnis
Die rot-rot-grüne Koalition in Berlin findet im Umgang mit der Stasi-Vergangenheit ihres Bau-Staatssekretärs Andrej Holm keine schnelle Lösung. Bei einer kurzfristig einberufenen Sitzung des Koalitionsausschusses gab es am späten Freitagabend auch nach mehr als drei Stunden keine Einigung über das weitere Vorgehen. Für das Treffen von Spitzenpolitikern aus Parteien und Fraktionen war zunächst kein Ende absehbar.

Update 22.45 Uhr: Bürgerrechtler sprechen von Schmutzkampagne gegen Holm
Frühere und heutige Mitarbeiter der Zeitschrift »telegraph« haben sich mit Andrej Holm solidarisch erklärt. Die Publikation entstand in den 80er Jahren in der DDR-Opposition; einige ihrer Mitarbeiter waren der Repression durch die Staatsicherheit ausgesetzt. »Trotz dieser Vergangenheit distanzieren wir uns auf das Schärfste von der aktuellen Schmutzkampagne gegen Andrej Holm«, heißt es in der Erklärung. Holm habe von 1998 bs 2001 beim »telegraph« mitgearbeitet und sei mit seiner Stasi-Vergangenheit offen umgegangen. Er habe sich »dieser Vergangenheit gestellt und er hat persönlich Lehren aus ihr gezogen … Diejenigen, die sich heute am stärksten über Andrejs Stasi-Vergangenheit beschweren, stört nicht das ‘Kainsmal’ seiner Vergangenheit – sondern das, was Andrej heute ist: ein Wohnungspolitiker, der 100%ig auf der Seite der Mieter steht.«

Update 18.40 Uhr: Berliner LINKE will vorerst an Holm festhalten
Die Berliner LINKE hält vorerst an ihrem wegen seiner Stasi-Vergangenheit umstrittene Staatssekretär Andrej Holm fest. Das schrieb Parteichefin Katina Schubert in einem am Freitag veröffentlichten Brief an die Mitglieder. »Wir verstehen, dass Teile der Berlinerinnen und Berliner als auch unsere Koalitionspartner nach der Berichterstattung der letzten Tage Bedenken haben«, heißt es dort. »Wir sind aber der Meinung, dass für Andrej Holm das gleiche Recht gilt, wie für andere politische Amtsträger auch.«

Daher wolle die Linke die derzeit laufende Überprüfung bei der Stasi-Unterlagenbehörde und die rechtliche Prüfung der Humboldt-Universität abwarten und die Ergebnisse dann bewerten. »Dies haben wir auch gegenüber unseren Koalitionspartnern SPD und Bündnis90/Die Grünen so kommuniziert«, so Schubert. »Der öffentliche Druck gegen uns ist groß. Gleichzeitig wächst die öffentliche Unterstützung für Andrej«, fügte sie hinzu.

SPD-Politiker: Holm soll gehen
In der Diskussion um die Vergangenheit des Staatssekretärs Andrej Holm gibt es eine erste Rücktrittsforderung aus Reihen der rot-rot-grünen Koalition. »Nach den mir bekannten Tatsachen – hauptamtliche Mitarbeit beim MfS und Lüge im Lebenslauf – ist Herr Holm als Staatssekretär und politische Führungskraft für mich nicht tragbar«, schreibt Sven Kohlmeier, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, am Freitag auf seiner Internetseite. »Ich würde mir wünschen, dass Andrej Holm aus der tagelangen Diskussion die Konsequenzen zieht.«

Holms Umgang mit seiner Biografie ließ Kohlmeier an dessen Eignung für ein politisches Spitzenamt zweifeln. »Wenn Andrej Holm bei der Stasi war, sollte er den Arsch in der Hose haben und dazu stehen. Dieses Rumgeeier, diese Ausreden, sich nicht erinnern zu können, diese Halbwahrheiten und der gefälschte Lebenslauf zerstören das Vertrauen in die Redlichkeit von Herrn Holm.«

Der von der LINKEN berufene Bau-Staatssekretär hatte erklärt, ihm sei erst jetzt, bei Einsicht in seine frühere Kaderakte, klar geworden, dass er dort als hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) geführt wurde. Bisher sei er davon ausgegangen, dass seine militärische Grundausbildung und sein fünfmonatiger Einsatz im Wachregiment »Feliks Dzierzynski« nicht so zu werten sei. In einem Personalfragebogen der Humboldt-Universität (HU), bei der der Stadtsoziologe bislang beschäftigt war, hatte er 2005 die Frage nach einer hauptamtlichen Mitarbeit verneint.

Bausenatorin Katrin Lompscher (LINKE) äußerte sich gegenüber dem »nd« nicht zu der Personalie. Eine Sprecherin sagte: »Ich habe keine neuen Informationen, als dass sie an ihm festhält.« Am Freitagabend, nach Redaktionsschluss dieser Seite, wollte die Koalition zu einer Ausschusssitzung zusammenkommen, um über die Personalie Holm zu beraten. Erst danach sei mit offiziellen Statements zu rechnen, hieß es aus Verwaltungskreisen. Auch der Senat ließ eine Anfrage des »nd« unbeantwortet.

Steffen Zillich, Parlamentarischer Geschäftsführer der LINKEN im Abgeordnetenhaus, sagte dem »nd«, die Partei halte an Holm fest. »Fachlich scheint er genau der richtige Mann zu sein. Was er als sehr junger Mensch für das Ministerium für Staatssicherheit getan hat, damit ist er immer offen umgegangen.« Die Erklärung zu seinen Eintragungen im Personalfragebogen der HU halte er für »plausibel«: »Er wollte keineswegs etwas verschweigen. Er hat nur nicht die Kategorie gewählt, die der Autor des Fragebogens gemeint hat.« Zillich plädierte dafür, auf die Prüfung der Akten bei der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) zu warten. »Das muss fair gemacht werden.« Er glaube, dass sich Holm als Staatssekretär halten können wird.

Hans-Christoph Keller, Sprecher von Holms früherem Arbeitgeber der HU, sagte dem »nd«, es »haben sich Anhaltspunkte ergeben, auf deren Grundlage die HU eine Anfrage beim BStU gestellt hat. Solange die Auskunft nicht vorliegt, wird sich die HU zu möglichen Reaktionen oder Konsequenzen nicht äußern.« Auch zu der Frage, ob sich die Universität getäuscht fühle, wollte sich Keller nicht äußern.
Unterstützung bekam Holm hingegen von Annika Klose, Landesvorsitzende der Jungsozialisten (Jusos). »Wir verurteilen diese Schmutzkampagne von mehrheitlich konservativen Kräften.« Es werde versucht, das politische Reformprojekt Rot-Rot-Grün anzugreifen.

In einem offenen Brief fordern zudem stadtpolitische Initiativen, an Holm festzuhalten. Bizim Kiez, Kotti&Co und der Mietenvolksentscheid loben Holm als »sachlich äußerst kompetent«. Sie würdigen seine Parteinahme gegen Gentrifizierung wie auch seine konkreten Vorschläge für eine neue Wohnungspolitik. »Die Immobilienwirtschaft und die Stadtverwertungsprofiteure wollen Andrej Holm scheitern sehen.«

Der Bezirksbürgermeister von Pankow, Sören Benn (LINKE), schrieb am Freitag auf seinem Blog: »Es ist heute völlig irrelevant, ob ein damals 18-Jähriger auf Zeit oder auf Dauer zur Stasi wollte, wenn er sich 26 Jahre später glaubhaft von dieser Absicht distanziert und sein Leben seitdem Beleg für seine veränderte Haltung ist.«

Auch in den sozialen Netzwerken wurde über die Personlaie diskutiert. Christopher Lauer (SPD) reagierte auf Kohlmeier: »Jemand der fünf Jahre lang Frank Henkel als Innensenator ertrug fürchtet wegen Holm ›große Schäden‹ für Berlin. Genau mein Humor.«

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