Die Erde ist eine Scheibe

Im Londoner »Ally Pally« beginnt am Donnerstag die Darts-WM: Der einstige Kneipensport hat seinen Siegeszug auf dem Festland angetreten

Würden Briten Karneval feiern, sähe es auf ihrem Rosenmontagsumzug wohl in etwa so aus wie in den kommenden gut zwei Wochen vor und im Alexandra Palace von London: Das würdevolle viktorianische Bauwerk im Norden der britischen Hauptstadt beherbergt dieser Tage die Partywütigen zu Tausenden: Singend, lachend, trinkend strömen sie in den »Ally Pally« - in Zebra-, Superman- oder Elfenkostümen.

An 18 Abenden wird hier die Darts-WM ausgetragen. 72 Männer aus 22 Ländern werfen dabei ihre Pfeile (Darts) auf die Scheibe (Board). Große, Kleine, Dicke, Dünne. Junge, Alte - der Präzisionssport erfordert vor allem Konzentration und eine ruhige Hand. Viel weniger braucht es Athletik, wie sich an den Polohemden etlicher Darts-Werfer erkennen lässt: Straff spannt sich der Stoff über so manche stolze Plauze.

Die Fans aber lieben die Protagonisten wie Phil »The Power« Taylor (56, England), Adrian »Jackpot« Lewis (31, England) oder den tätowierte Titelverteidiger Gary »The Flying Scotsman« Anderson (45, Schottland). Allerdings ist Anderson nicht in Bestform und eher kein Kandidat für die Siegprämie. Umgerechnet 418 000 Euro hat der Profiverband PDC für den Sieger des Finalmatches am 2. Januar 2017 ausgelobt.

Aus 2,37 Metern Abstand versuchen Anderson und seine Konkurrenten mit immer abwechselnd drei Würfen von 501 als Erste auf null Zähler herunterzupunkten. Gelingt einem der Spieler dabei eine »Onehundred-and-eighty« (180 Punkte aus drei Würfen), geraten 3000 bierselige Menschen aus dem Häuschen, schafft einer gar einen 9-Darter (ideale Wurfserie, bei der in neun Würfen 501 Zähler erzielt werden), tanzt die Halle minutenlang. Ein 9-Darter ist wie ein »Hole-in-One« beim Golf, bei der WM 2015 gab es nur einen, dem das gelang: Gary Anderson.

Der Überflieger des Jahres 2016 ist indes ein 27-jähriger Niederländer: Michael van Gerwen, Spitzname »Mighty Mike«. Der Glatzkopf aus der Provinz Nordbrabant hat in diesem Jahr mit Abstand die meisten Preisgelder eingesackt, in seiner Heimat schalten sich bis zu zwei Millionen Menschen zu, wenn es im »Ally Pally« um den Weltmeistertitel geht.

In den Niederlanden ist Darts ähnlich populär wie in Großbritannien, seit van Gerwens Landsmann Raymond van Barneveld 1998 erstmals den Weltmeistertitel des Konkurrenzverbandes BDO gewann. Auch der 49-Jährige »Barney« ist im »Ally Pally« am Start. Zwar liegen seine besten Jahre hinter ihm, bei den Saisonhöhepunkten indes überrascht er stets mit großen Auftritten. In England wird er geliebt, seine Fans nennen sich die Barney-Army.

Auch in Deutschland erlebt Darts einen Boom. Der Spartensender Sport1 hat sich die Rechte für Deutschland gesichert und überträgt dieses Jahr 90 Stunden live aus London. Bei der vergangenen WM saßen zu Spitzenzeiten bis zu 1,3 Millionen Menschen vorm Fernseher - trotz mangelnder deutscher Siegspieler: Der beste Deutsche, Max Hopp aus Idstein, ist 38. der Weltrangliste.

Sollte der 20-Jährige wider Erwarten eine gute Rolle bei der WM spielen können, prognostiziert so mancher dem verlachten Darts große Entwicklungsmöglichkeiten. Die Einfachheit der Regeln, der spannende K.o.-Modus und die begeisterungsfähigen Zuschauer beim vermeintlichen »Kneipensport« bilden ideale Zutaten für eine Fernsehsportart. Und der deutsche Hoffnungsträger weiß, dass die Zeit für ihn arbeitet: »Ich habe natürlich den großen Traum, irgendwann Weltmeister zu werden«, sagt Max Hopp: »Aber ich weiß natürlich auch, dass man nicht von einem Tag auf den anderen ganz oben steht, sondern dass viele kleine Schritte dazu nötig sind.«

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