Herder soll Genscher weichen

Die Stadt Halle will den Ex-Außenminister ehren - Platz und Gymnasium vor Umbenennung

  • Hendrik Lasch, Halle
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Jahr 2009 wurde das Herdergymnasium in Halle 100 Jahre alt. Einer seiner berühmtesten Schüler, Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, erinnerte in einer Festrede an einen früheren Direktor der Schule, die zu der Zeit noch Reformrealgymnasium hieß: Er würde »sehr glücklich sein, wenn er miterleben könnte, dass die Schule den Namen Herders trägt«.

Das wird sie nicht mehr lange. Statt dessen soll sie den Namen Genschers erhalten. Im November beschloss die Gesamtkonferenz aus Lehrern, Eltern und Schülern, den Aufklärer und Philosophen durch den FDP-Politiker zu ersetzen; am Mittwoch soll der Stadtrat folgen. Dort wird zudem über einen Antrag des parteilosen Oberbürgermeisters Bernd Wiegand abgestimmt, den Bahnhofsvorplatz nach Genscher zu benennen. Dieser sei, heißt es in der als dringlich markierten Vorlage, »ein großer Hallenser, Ehrenbürger und Botschafter unserer Stadt« gewesen.

Die Entscheidung drängt insofern, als in Halle bereits seit Genschers Tod am 31. März um die Frage gerungen wird, wie und an welcher Stelle der Politiker geehrt werden kann. Dieser war am 21. März 1927 in Reideburg geboren worden, das damals noch jenseits der östlichen Stadtgrenze lag, aber 1950 eingemeindet wurde. Wiegand favorisierte die Umbenennung der Delitzscher Straße, die über viele Kilometer hinweg in Richtung Reideburg führt. Der Aufwand für Anwohner wäre aber wesentlich höher gewesen als die 300 Euro, die man für neue Straßenschilder am Bahnhof veranschlagt. Eine Arbeitsgruppe im Stadtrat hatte auch über eine Umbenennung der Berliner Brücke oder des Rannischen Platzes geredet, war aber zu keiner Einigung gelangt. Wiegands Antrag folgt nun dem Ergebnis einer Leserumfrage der lokalen »Mitteldeutschen Zeitung«, bei der sich 49 Prozent der Teilnehmer für den Platz am Bahnhof aussprachen. Wie deutlich das Votum im Stadtrat ausfallen wird, ist offen. Die LINKE etwa sei in der Frage »gespalten«, sagt Kulturpolitiker Erwin Bartsch: Es werde nicht nur Zustimmung geben. Verwiesen wird etwa auf Genschers Rolle beim Bruch der sozialliberalen Koalition und beim Sturz von Kanzler Willy Brandt. Die Ratsvorlage hebt vor allem auf Genschers außenpolitische Verdienste und den »Kurs des Ausgleichs zwischen den Blöcken« ab.

Keine Zustimmung wird es von der LINKEN dagegen für die Umbenennung des Gymnasiums geben. Er halte wenig davon, Schulen nach Politikern zu benennen, sagt Bartsch; dafür den Aufklärer Herder zu streichen, nennt das Ratsmitglied gar »eine Kulturschande«. Allerdings gibt es in dem Gymnasium, das in einem prächtigen Gründerzeitbau im Steintorviertel ansässig ist, hinreichend Erfahrung mit Namenswechseln: Das Reformrealgymnasium wurde 1937 nach Friedrich Nietzsche benannt, im Jahr 1946, als Genscher Abitur machte, dann nach Friedrich Engels. 1969 bezog die Dr.-Kurt-Fischer-Schule das Gebäude. Herders Name trägt diese seit jetzt 25 Jahren. Den von Genscher könnte die Schule wegen verschiedener Formalien kaum vor dem Schuljahr 2017/18 annehmen, zitiert die »Mitteldeutsche« den Schulleiter.

Andernorts in Sachsen-Anhalt ist man in Sachen Genscher-Ehrung flotter gewesen. Im Landsberger Ortsteil Queis, fünf Kilometer vom Geburtshaus des Politikers in Reideburg, ist schon eine Straße nach ihm benannt. Das Goethe-Theater Bad Lauchstädt hat im Herbst eine Büste Genschers ersteigert. Sie soll 2017 nach der laufenden Sanierung im bisherigen Kursaal aufgestellt werden, der dann nach Genscher benannt wird. Der Ex-Minister sei Mitbegründer des Fördervereins gewesen, habe viel für das Theater getan und dieses »bei jeder Gelegenheit besucht«, sagt Geschäftsführer René Schmidt. Wieder versandet ist dagegen die Idee der FDP, den Flughafen Halle-Leipzig in Hans-Dietrich-Genscher-Airport umzubenennen.

Dem Andenken des Politikers gewidmet war zudem das diesjährige Lichterfest in Halle. Dabei wurde aus fast 16 000 Teelichtern dessen legendärer gelber Pullunder nachgeformt - wenn auch fälschlicherweise mit langen statt ohne Ärmel.

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