Rechtsstaat – 
rechte Polizei?

Reichsbürger und Rechtsextreme als Polizisten? Was scheinbar absurd klingt, bestätigte sich bereits mehrfach. Behörden und Gewerkschaft sind alarmiert.

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.

Das Polizeipräsidium Oberbayern Süd hat Ende der vergangenen Woche einen sogenannten Reichsbürger ausgemacht - in den eigenen Reihen. Der Mann, der einen »Staatsangehörigkeitsausweis« beantragt hatte, soll auch während seines Dienstes »Gedankengut der Reichsbürgerbewegung« verbreitet haben. Polizeipräsident Robert Kopp suspendierte den Polizisten mit sofortiger Wirkung. Auch im Polizeipräsidium München war jüngst ein 26-jähriger Polizeiobermeister vom Dienst ausgeschlossen worden. Gegen eine Reihe weiterer uniformierter Staatsdiener wird ermittelt, in Franken wurden gleich mehrere Beamte vom Dienst suspendiert.

Noch vor Monaten hätte man gelächelt und gefragt, warum es denn gerade unter Polizisten keine »Gespinnerten« geben sollte. Doch nach dem tödlichen Angriff eines Reichsbürgers auf einen Elitepolizisten im mittelfränkischen Georgensgmünd im Oktober, ist man wachsamer geworden. Zumal es sich herausgestellt hat, dass rund 340 der 1700 Reichbürger in Bayern über Waffen verfügen.

Dass Reichsbürger auch in der Polizei zu finden sind, hält Oliver Malchow, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), »für leider normal«. Die Polizei sei in gewisser Weise »ein Spiegelbild der Gesellschaft«, sagt er im nd-Gespräch. Doch wer sich verfassungswidrigen Organisationen zugehörig oder zugeneigt zeige, »der könne nicht gleichzeitig dem demokratischen Staatsgefüge dienen«. Es sei dringend geboten, dass die jeweiligen Dienstherren in den Ländern und im Bund darauf disziplinarrechtlich reagierten. »Dabei haben sie jede Unterstützung der GdP«, betonte deren Chef und versicherte, dass seine Gewerkschaft überführten Rechtsextremen in den eigenen Reihen keinen Rechtsschutz gewähren werde. Schließlich hätten die sich klar gegen die Statuten der 173 000 Mitglieder zählenden Organisation gestellt.

Mit seinen Aussagen trifft sich das SPD-Mitglied mit dem CSU-Mann Joachim Herrmann. Der Bayerische Innenminister hatte bereits im November angekündigt, gegen Reichsbürger im Staatsdienst rigoros vorzugehen: »Wer bestreitet, dass es diesen Staat gibt, kann nicht gleichzeitig ein Beamtengehalt oder eine Pension kassieren.«

Die Reichsbürger sind kein neues, aber ein neuerdings als gefährlich erkanntes Problem. Seit Jahren stößt man immer wieder auf »rechtsextrem angehauchte« Polizisten, bestätigt das Bayerische Innenministerium indirekt, wenn es auf diverse Antworten auf Landtagsanfragen verweist. In denen wird deutlich, wie oft Vorfälle bagatellisiert werden. Da klebt beispielsweise ein Bereitschaftspolizist aus Würzburg eindeutig rechtsextremistische Aufkleber an Gerätschaften, doch damit seien keine politischen Haltungen verbunden gewesen, heißt es. Die Staatsanwaltschaft findet - obwohl die Urheberschaft der Aufkleber eindeutig auf gefährliche Kameradschaften wie das »Freie Netz Süd« zurückgehen - keine Möglichkeit, um strafrechtlich einzugreifen.

Bereits im vergangenen Jahr hatte jemand in der Facebook-Gruppe »Spotted Pocking« gefragt, womit man ankommenden Flüchtlingen helfen könnte, ob jemand Spielsachen, Fernseher, Kleidung oder Handys verschenken könne. Es gab hasserfüllte Reaktionen. Einer schrieb: »I häd nu 60 Eintrittskarten fürs Onkelzkonzert mit Zugticket herzugeben. Aber ohne Rückfahrt. De erübrigt sich dann sowieso.« Die deutsche Rockband Böhse Onkelz war jahrelang beliebt bei rechten Skinheads. Mehrere ihrer Lieder wurden wegen ihrer Nähe zum Nationalsozialismus zensiert. Die Anspielung auf »Zugtickets ohne Rückfahrt« erinnert sicher nicht zufällig an die Deportationen der Juden im Dritten Reich.

Der Urheber der Hasszeilen wurde ermittelt. Auch er ist Angehöriger des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd. In seiner Einlassung »hat er seine Äußerung bedauert und er war sich auch der Tragweite nicht bewusst«, hieß es - bevor die Ermittlungen eingestellt wurden.

Nun ist Bayern keine Ausnahme. Ähnliche Beispiele von rechtsextremistischen »Verfehlungen« lassen sich in allen Länderpolizeien und in denen des Bundes belegen. »nd« fragte bei zuständigen Innenministerien nach. »Bezogen auf den Zeitraum seit 2014 wurden beziehungsweise werden in der Landespolizei Sachsen-Anhalt Disziplinarverfahren gegen sechs Polizeivollzugsbeamte wegen einer möglichen rechtsextremistischen Haltung geführt«, hieß es aus Magdeburg. Vier dieser Verfahren richten sich gegen Reichsbürger. Davon soll es, so war in anderem Zusammenhang zu erfahren, im ganzen Land allerdings nur 80 geben.

Ein Disziplinarverfahren wurde eingestellt, der Vorwurf ließ sich offenbar nicht beweisen. Die übrigen fünf Verfahren laufen noch, drei beim Verwaltungsgericht Magdeburg als sogenannte Disziplinarklagen. Ziel sei eine »Entfernung aus dem Beamtenverhältnis«.

Die Berliner Polizei antwortete mit einem Ausflug in kompliziertes Beamtenrecht. Im Disziplinarrecht gebe es das Vergehen »rechtsextremistische Haltung« nicht. Mit einem Disziplinarverfahren werde immer konkretes Handeln, Verhalten oder relevante Äußerungen, »also unmittelbar aktive oder passive Handlungen von Beamtinnen und Beamten, die in der Regel neben Beamtenpflichten zugleich strafrechtliche Normen verletzen, verfolgt«. Beispiel Volksverhetzung oder Beleidigung. Weiter heißt es: »Nach Eintritt des Verwertungsverbotes eines Vorgangs ist nicht mehr erkennbar, ob eine rechtsgerichtete Geisteshaltung der/des von dem Verfahren betroffenen Beamtin/Beamten eine Rolle gespielt hat.« Kurzum: Die Hauptstadtpolizei kann seit 2013 insgesamt nur zehn eingeleitete Verfahren gegen Polizeibeamte belegen, weil »fremdenfeindliche Äußerungen getätigt oder entsprechende Handlungen an den Tag gelegt wurden«. Zwei der Verfahren seien abgeschlossen.

Dem niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport liegen derzeit »keine Erkenntnisse darüber vor, dass Beschäftigte der Polizei der Reichsbürgerbewegung angehören oder mit ihr sympathisieren«. Es gab auch keine Disziplinarverfahren wegen Zugehörigkeit zur dieser Bewegung, zu rechtsextremistischen oder rechtspopulistischen Gruppierungen, heißt es. Wohl aber habe man in den vergangenen Jahren zwei Studierende der Polizeiakademie Niedersachsen »wegen Vorfällen entlassen, die einen rechtsextremistischen Hintergrund hatten«. Ein Disziplinarverfahren war anhängig, das rechtsextremistisches Gedankengut zum Inhalt hatte. Es endete mit Zahlung einer Geldbuße. Derzeit noch anhängig sei ein Verfahren mit möglicherweise rechtsextremistischem Hintergrund. Ausgang offen.

Derzeit werden sechs Disziplinarverfahren gegen Polizeibeamte des Landes Baden-Württemberg geführt, bei denen der Verdacht einer extremistischen Haltung beziehungsweise eines fremdenfeindlichen Hintergrunds besteht oder zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, schrieb das Innenministerium in Stuttgart. Man verwies darauf, dass neben den genannten Fällen 2015 ein Fall und im Jahr 2016 zwei weitere Fälle abgeschlossen worden sind. »Als Disziplinarmaßnahme wurde ein Verweis erteilt und zwei Gehaltskürzungen verhängt.« Das Ministerium lässt wissen, dass eine Erfassung solcher Fälle erst seit Juni 2015 erfolgt. Zugleich legt man Wert auf einen guten Gesamteindruck: »Derzeit hat die Polizei Baden-Württemberg im Vollzugsbereich knapp 24 100 Stellen.«

Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen rechnet insgesamt mit 300 Reichsbürgern. Auf Polizeibeamte angesprochen, unterstreicht das Innenministerium in Düsseldorf: Es sei »selbstverständlich, dass jeder, der unserem Staat und seinen Gesetzen jede Legitimation abspricht, keinen Platz in der NRW-Polizei hat«. Als Bekräftigung wird formuliert: »Verfassungsfeinde können nicht glaubhaft für unsere Verfassung eintreten und sie schützen.« Erst im November hatte Ressortchef Ralf Jäger (SPD) alle seine Polizeibehörden um Auskunft über Disziplinarverfahren im Zusammenhang mit der sogenannten Reichsbürger-Bewegung gebeten. Es waren zwei. Bei drei weiteren ist eine Zugehörigkeit zu den Reichsbürgern »denkbar«.

Dem Polizeipräsidium Brandenburg liegen - Stand Ende Oktober - keine Erkenntnisse über Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamte vor, die Reichsbürger sind oder mit der Szene sympathisieren. Also gibt es weder Disziplinarverfahren noch Suspendierungen. Anders verhält es sich mit möglichen rechtsextremistischen Haltungen. Ebenfalls Stand Ende Oktober liefen vier Disziplinarverfahren gegen Polizisten wegen des Verdachts rechtsextremistischer Aktivitäten. »Es sind bislang zwei vorläufige Dienstenthebungen ausgesprochen worden.«

Dass Sachsen schon mehrfach Probleme hatte mit allzu großer Nähe von Polizeibeamten zu Rechtsextremisten ist mehrfach belegt. Zur Zeit laufen Ermittlungen wegen des Verdachts der Weitergabe von Polizeiinterna an die mutmaßlich rechtsterroristische »Gruppe Freital«. Der werden fünf fremdenfeindliche oder politisch motivierte Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte oder politische Gegner zur Last gelegt. Gegen sieben Mitglieder der Gruppe hat der Generalbundesanwalt Anklage erhoben - unter anderem wegen versuchten Mordes.

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