Institutionell verschworen
Laut WADA-Ermittler McLaren wurden Dopingtests von 1000 russischen Athleten vertuscht
Je genauer ermittelt wird, desto ungeheuerlicher werden die Resultate, die WADA-Chefermittler Richard McLaren zutage fördert: Am Freitag präsentierte der Kanadier in London die mit Spannung erwarteten neuesten Erkenntnisse über das Treiben in russischen Dopinglabors. Mehr als 1000 russische Winter- und Sommersportler sowie Paralympier sollen nach Ermittlungen der Welt-Antidoping-Agentur zwischen 2011 und 2015 entweder selbst gedopt haben oder zumindest Nutznießer eines Dopingvertuschungssystems gewesen sein. Athleten aus 30 Sportarten seien betroffen, Namen wurden allerdings nicht genannt.
Geschichten aus der Unterwelt des russischen Sports, zweiter Teil: »Es existierte eine institutionelle Verschwörung unter Sommer- und Winterathleten, die mit russischen Offiziellen im Sportministerium und dessen Infrastruktur wie RUSADA (Antidopingagentur), CSP (Zentrales Vorbereitungszentrum der russischen Athleten) und Moskauer Dopinglaboratorium zusammenarbeiteten«, heißt es im ersten Punkt der Zusammenfassung des 95-seitigen Berichts.
Richard McLaren ist Chefermittler der Welt-Antidoping-Agentur. Bei der WADA schätzen sie McLaren und seine strukturierte, akribische Arbeit. Schon 2007 hatte er am »Mitchell-Report« mitgewirkt, der flächendeckendes Doping im Profi-Baseball der USA aufdeckte. Zusammen mit seinem kanadischen Landsmann Richard Pound hatte der 71-jährige Rechtsprofessor schon im ersten Teil des sogenannten »McLaren-Reports« systematisches Doping in der russischen Leichtathletik nachgewiesen. nd
Die zentralisierte und systematische Leistungsmanipulation soll bei allen wichtigen Sportgroßereignissen passiert sein: Olympia in London 2012, Universiade in Kasan 2013, Leichtathletik-WM in Moskau 2013, Winterolympia in Sotschi 2014. Bei den Olympischen Spielen soll ein System des »Sample-Swapping« (Probenaustausch) etabliert und auch nach Sotschi fleißig weiter praktiziert worden sein. Positive Proben wurden demnach mit sauberen Proben ersetzt, die dafür beim russischen Geheimdienst FSB gelagert worden sein sollen.
Das »Sample-Swapping« sei fortan regelmäßig jeden Monat im Moskauer Labor praktiziert worden - für Elitesportler der Sommer- und Winterdisziplinen. Es sei nicht möglich zu überschauen, wie tief und wie weit zurück die institutionelle Verschwörung zwecks Dopingvertuschung reicht, sagte McLaren am Freitag bei der Präsentation der Ergebnisse. Für die Zeit von 2011 bis 2015 stehe sie fest. »Seit Jahren sind internationale Sportwettkämpfe unbemerkt von den Russen bestimmt worden.« McLaren räumte auf Nachfrage allerdings ein, keine Hinweise auf eine Involvierung des Russischen Olympischen Komitees (ROC) gefunden zu haben.
In Russland ist man empört: »Da ist nichts Neues dran, nur gegenstandslose Beschuldigungen gegen uns alle. Wenn du Russe bist, wirst du für jede einzelne Sünde angeklagt«, klagte Dimitri Swischtschew, Vorsitzender des Staatsduma-Ausschusses für Körperkultur, Sport und Angelegenheiten der Jugend, der auch als Präsident des nationalen Curlingverbandes fungiert. Man werde den Bericht genau ansehen, verspricht das russische Sportministerium: »Wir bestreiten aber, dass es ein staatliches Programm zur Unterstützung von Doping im Sport gibt. Wir werden weiter mit null Toleranz gegen Doping kämpfen.« Das Ministerium sei weiterhin bereit zu kooperieren.
Beim Internationalen Olympischen Komitee hieß es in einem Statement, man »erkenne die vorgelegten Beweise an«: »Ein fundamentaler Angriff auf die Integrität der Olympischen Spiele und des Sports im Generellen« sei zu erkennen. Als erste Maßnahme kündigte das IOC an, alle eingelagerten Dopingproben russischer Athleten der Olympischen Spiele 2012 in London nachzutesten.
In Deutschland forderte die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, Dagmar Freitag (SPD), den Ausschluss aller russischen Athleten von WM, EM und Olympischen Spielen. Auch Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), verlangte einen »kompletten Ausschluss des russischen Sports bis zur Wiederherstellung seiner Glaubwürdigkeit«.
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