Fremd im eigenen Land
Flüchtlinge aus dem Donbass bleiben in der Ukraine ohne Obdach und Arbeit
Es sind eindrucksvolle Bilder, die während der Beerdigung des Separatistenführers Arsen Pawlow, Kampfname Motorola, in Donezk entstanden. Nach verschiedenen Schätzungen nahmen zwischen 10 000 und 50 000 Menschen an der Zeremonie Ende Oktober teil. Die Menschenmenge in der Nähe des Donezker Opernhauses war auf alle Fälle groß.
Ebenfalls stark war die Reaktion aus der Ukraine. »Wir können es diesen Menschen nicht erlauben, einfach zurückzukehren«, schrieb unter anderem der dem Innenminister Arsen Awakow nahe Politologe Taras Beresowez in einem heftig diskutierten Facebook-Beitrag. »Es mag hart klingen, aber mit diesen Menschen können wir nicht in einem Land leben.«
Tatsächlich fassen die harten Worte von Beresowez die in der Ukraine geführte Diskussion gut zusammen. Es ist zwar nicht so, als würden Debatten im ukrainischen Internet die Haltungen in der Gesellschaft vollständig widerspiegeln. »Doch leider spielt die Stimmung in sozialen Netzwerken tatsächlich eine große Rolle«, konstatiert gegenüber der Zeitung »Westi« der Politologe Wolodymyr Paniotto. »Wenn die Menschen immer wieder solche Beiträge lesen, entsteht schnell der Eindruck, dass die Mehrheit genauso denkt.« Für Paniotto und seine Kollegen ist klar: Gerade zuletzt ist das Niveau der Aggression und des Hasses gegenüber Einwohnern des Donbass deutlich angestiegen.
Am meisten leiden darunter die Binnenflüchtlinge, die ihre Heimatregion wegen des andauernden Krieges verlassen mussten. In der Ukraine müssen Geflüchtete aus dem Donbass neben der minimalen staatlichen Hilfe gleich mit mehreren Problemen kämpfen. Vor allem ist es für Binnenflüchtlinge schwer, eine Arbeitsstelle und eine Wohnung zu finden. »Es läuft immer gleich: Ich rufe an - und sage, dass ich aus Luhansk komme«, erzählt die nach Kiew umgezogene Anastasija Katschkina. »Dann wird entweder das Telefon aufgelegt oder höflich ›Nein‹ gesagt.«
Wenn es Binnenflüchtlingen trotzdem gelingt, eine Wohnung zu mieten, ist die Miete meist höher als marktüblich. Denn die Menschen aus dem Donbass oder auch von der Halbinsel Krim gelten bei vielen Vermietern als »zusätzlicher Risikofaktor«. Noch öfter wird das Arbeitsrecht gegenüber den Flüchtlingen gebrochen: Vielen wird eine Arbeitsstelle nur wegen ihrer Anmeldung im Donbass verweigert. »Außerdem haben einige Geflüchtete nicht alle Dokumente zur Hand. Das sind doch Menschen, die ihre Heimat meist unter Beschuss verließen«, sagt Kateryna Brjuchanowa von der Ukrainischen Assoziation der Binnenflüchtlinge. »Leider wird dies nur von wenigen Arbeitgebern berücksichtigt. Meist werden keine Kopien oder etwas Ähnliches anerkannt.«
Rund ein Viertel der Geflüchteten ist bis heute arbeitslos geblieben, nur 59 Prozent der Binnenflüchtlinge sind zudem in ihrem Fachgebiet tätig. Mehr als ein Drittel aller Binnenflüchtlinge hat mit Diskriminierung zu kämpfen. »Die Menschen, die vor dem Krieg geflüchtet sind, fühlen sich auf ukrainischen Boden nicht zu Hause. Viele werden so stark kontrolliert, als wären sie Kriminelle«, klagt der Charkiwer Anwalt Roman Lychatschjow. Zuletzt wurden die Binnenflüchtlinge von der ukrainischen Polizei als ein Grund für die steigende Kriminalität im Land bezeichnet. Dafür kritisierten zahlreiche Menschenrechtler die Polizei heftig.
»Dahinter steckt wohl eine Strategie«, glaubt der Politologe Paniotto. »Der Grad der Toleranz wird stark von der wirtschaftlichen Realität beeinflusst. Wenn die Lage komplizierter wird, wird oft auch ein gemeinsames Feindbild gesucht.« In diesem Fall seien es Donbass-Bewohner - und eben jene Flüchtlinge, die wegen des Krieges ihre Heimat verlassen mussten.
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