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5100 Mal Erinnerung an NS-Opfer

Wie die Stolperstein-Aktion nach Hamburg kam

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 2 Min.

Vor 15 Jahren hörte Peter Hess im Berliner Café Einstein erstmals vom Stolperstein-Projekt des Künstlers Gunther Demnig, das die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wachhält. Die Idee, vor dem letzten selbstgewählten Wohnort der ermordeten Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen, Zeugen Jehovas, politisch Verfolgten und Euthanasie-Opfer Gedenksteine in die Gehwege einzulassen, hat bei dem heute 73-Jährigen einen Nerv getroffen. Sein erster Gedanke war: »Diese Aktion muss ich nach Hamburg holen.« Gesagt, getan. Bis heute wurden in der Hansestadt dank Hess und vielen ehrenamtlichen Mitstreitern 5100 mit Messing beschlagene Steine in die Trottoirs eingelassen.

Die Frage, was ihn antreibe, beantwortet der frühere Kaufmann im Baugewerbe ganz direkt: »Meine Eltern waren Nationalsozialisten, wie viele in ihrer Generation.« Und er habe sich »schon als Schüler für Politik interessiert - besonders für die deutsche Vergangenheit.« Aus dem Gefühl heraus, etwas tun zu müssen, ist viel Gutes entstanden.

Peter Hess gehört zu den Menschen, die das im Grundgesetz stehende Postulat »Eigentum verpflichtet« ernst nehmen. Als Mäzen unterstützt er junge Künstler, als Ehrenamtlicher hilft er beim Verlegen der Stolpersteine, außerdem führt er »zehn bis 15 Mal im Jahr« Schulklassen durch das Grindelviertel, in dem bis zur nationalsozialistischen Verfolgung viele Juden lebten. »Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist«, heißt es im Talmud. Deshalb erfüllt es Hess mit Genugtuung, dass es den Nationalsozialisten nicht gelungen ist, die Erinnerung an die Opfer auszulöschen: »Die Täter sind weg, die Stolpersteine bleiben für immer.« Und sie hielten die Erinnerung wach: »Durch die Steine finden fortlaufend Dialoge statt, zudem haben die Nachkommen der NS-Opfer jetzt einen Bezugspunkt, da meist kein Grab vorhanden ist.« 99 Prozent der jüdischen Angehörigen äußerten sich positiv, betont Hess: »Viele Juden, die nie wieder Deutsch sprechen wollten, tun das nach Jahrzehnten wieder anlässlich der Verlegung der Stolpersteine.«

Für die Gegner der Steine hat der erfolgreiche Sammler zeitgenössischer Kunst kein Verständnis. Das seien in Hamburg »meist gut situierte Bürger, deren Vorfahren von der sogenannten Arisierung profitiert haben.« Gesetzt werden die Steine dann trotzdem - mit dem Plazet der Stadt. Nicht nur das: Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit putzt mit ihren Mitarbeiten regelmäßig die vor dem Rathaus zu Ehren der 20 von den Nazis ermordeten Abgeordneten verlegten Stolpersteine. »Das finde ich großartig«, sagt Peter Hess. Heute sind die Stolpersteine das größte dezentrale Kunstdenkmal der Stadt - nicht zuletzt dank eines »Hamburgers mit Leib und Seele«.

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