Sunniten statt Snowboarder
Im Kino: die Flüchtlingskomödie »Welcome to Norway«
Was tun, wenn man auf den falschen Standort gesetzt hat und nun kurz vor der Pleite steht? Primus (Anders Baasmo Christiansen) ist als Hotelier gescheitert. Aber er hat einen Plan: Wenn Snowboard-Safari und Ski-Verleih schon nicht geklappt haben, wenn der Touristenstrom statt in den kalten norwegischen Norden lieber in den freundlicheren Süden geflossen ist und Ideen für neue Geldquellen rar werden, muss man eben nutzen, was man hat. Und das sind: Menschen.
100 000 Euro gibt der Staat pro Jahr und Flüchtling aus, damit Asylbewerber untergebracht und beköstigt werden. Was an Restbetrag übrig bleibt, wenn diese Vorgaben erfüllt sind, steckt der Unternehmer ein, der dem Staat die Versorgung der Asylbewerber abnimmt. Primus hat einen Kühlschrank voller Tiefkühlbrote und langzeitgefrosteter Forellen, alles mal für die Hotelgäste gedacht. Und ein Haus mit vielen Zimmern, wenn auch zur Hälfte noch ohne Türen, Strom, Fußboden oder sonstige Annehmlichkeiten. Aber wen schert’s - wer von zu Hause flüchtet, hat es dort sicher schlechter gehabt als hier im hohen Norden. Oder nicht?
Natürlich kommen bald nicht nur Flüchtlinge busladungsweise an, sondern auch die Behörden ins Spiel. Und die machen Auflagen: Ein Sprachkurs muss her, die demokratische Mitsprache der Flüchtlinge gewährleistet sein - und natürlich müssen die Räume endlich Türen, Fußböden und Licht bekommen. Aber mit ein paar PlayStations lassen sich die neuen Gäste zur unentgeltlichen Mitarbeit beim Ausbau ihrer Zimmer animieren, die kommunale Sozialarbeiterin, alleinerziehend, niedlich und ziemlich einsam, lässt sich mit schnellem Sex zu einem Übergangskredit verleiten, bis die staatlichen Gelder fließen, und auch sonst ist bald alles prima im nördlichen Norwegen. Oder doch nicht?
Die Sache mit den Querelen zwischen Sunniten und Schiiten lässt sich dank der Hilfe eines sprachgewandten kongolesischen Flüchtlings und einer geschickten Pufferzonenplanung bei der Bettenbelegung noch beilegen. Eine junge Frau, die sich energisch weigert, in ein Zimmer ohne Tür zu ziehen, kommt bei Primus‘ Tochter Oda unter, die ihre einzige Freundin an die nächstgrößere Stadt verlor.
Primus‘ ewig gegen jeden und alles nörgelnde Gattin sitzt ohnehin stets nur im abgedunkelten Raum und will weder mit der Asylpolitik ihres Landes noch mit den konkreten Flüchtlingen nebenan irgendwas zu tun haben. Oda dagegen stört sich eher an Papas immer wieder durchbrechendem Rassismus - denn Asylbewerberheimvater ist Primus wirklich nur geworden, weil er endlich teilhaben will am Wohlstand der südlichen Landesteile. Und einen neuen Wagen braucht er auch.
Weil Primus aber weiter auf die Hilfe von Abedi (Oliver Mukata) angewiesen ist, dem sprachmächtigen Kongolesen, weil er die Sozialarbeiterin braucht und die Mithilfe der anderen Flüchtlinge beim Ausbau, damit die behördliche Genehmigung nicht versagt wird, entsteht schnell ein Netz gegenseitiger Abhängigkeiten. Und manches wird dank der Flüchtlinge am Ende tatsächlich besser im hohen Norden.
Als Regisseur Rune Denstad Langlo die Idee für »Welcome to Norway« zu einem Drehbuch ausbaute, standen die ganz großen Flüchtlingsbewegungen erst noch bevor. Drei Dinge waren es, die ihn auf die Idee brachten: eine Zeitungsreportage über das Geld, das sich in Norwegen mit Asylbewerberheimen verdienen lässt, die eigene Erfahrung von einem Dokumentarfilmdreh in einem Heim und die Erzählung eines Freundes, der erlebt hatte, wie ein Rassist sich mit einem Schwarzafrikaner anfreundete. Auch Primus und Abedi wird am Ende eine feste Freundschaft verbinden, für die Primus viel einzusetzen und aufzugeben bereit ist.
Dass trotzdem nicht alles tränenlos und happy endet im nördlichen Norwegen, ist angesichts der Gesamtgemengelage nicht weiter überraschend. Aber es tut dem Film gut, der mit ganz breiten Pinselstrichen anfängt und mit ein paar deutlich subtileren Momenten endet. So gibt es wohl doch noch Hoffnung, auch im schneeverwehten Norden.
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