Gleicke besteht auf ungeschöntem Osten
Bundestag stritt über Bericht zum Stand der Deutschen Einheit / Dresden bereitet sich auf Zentrale Feier vor / Bekennerschreiben nach Anschlägen war Fälschung
Wenige Tage nach Erscheinen des Berichts zum Stand der Deutschen Einheit befasste sich am Freitag der Bundestag mit der auch 26 Jahre nach der Vereinigung ausstehenden Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West. Die Ostbeauftragte der Bundesregierung Iris Gleicke (SPD) wiederholte ihre Einschätzung, dass ein ungeschöntes Bild der Lage im Osten nötig sei, auch um den exorbitanten Anstieg der Zahl rechtsextremistischer Straftaten im Osten bewerten zu können. Auf öffentliche Kritik an ihrem Bericht in den letzten Tagen reagierte sie mit einer Beschreibung ihres Amtsverständnisses: »Die Probleme, die der Herstellung gleicher Lebensverhältnisse entgegenstehen, klar und deutlich zu benennen.« Rechtsextreme Gewalt sei zwar ein gesamtdeutsches Problem, »aber die Zahlen sind eindeutig, es gibt nichts zu beschönigen«. Der Anstieg der Fallzahlen spreche für ein besonderes ostdeutsches Problem wie auch die Tatsache, dass die Zahl der Straftaten - insgesamt 1800 seit Jahresbeginn - weit über dem Durchschnitt der westdeutschen Länder liege. »Wann, wenn nicht jetzt sollte man denn sonst Alarm schlagen«, so Gleicke. Was die Ostdeutschen nicht mehr ertrügen, »ist die Unwahrheit«, sagte die Politikerin, die zugleich warnte, durch »Schönreden und Propaganda« weiter Glaubwürdigkeit zu verspielen. Als Beispiel nannte sie die ausstehende Rentenangleichung im Osten.
Susanna Karawanskij (LINKE) sprach von einem Bankrott der Politik nach einem Vierteljahrhundert, in dem es nicht gelungen sei, eine Angleichung der Lebensverhältnisse herzustellen. Die Bundesregierung habe darüber hinaus kein Konzept, keinen Plan, wie diese Situation zu verändern sein könnte. »Es ist jemandem, der die DDR nur noch aus dem Geschichtsbuch kennt, nicht zu erklären, warum er weniger verdient und auch noch weniger Rentenpunkte sammelt.«
Mehrere Redner erinnerten an die Lage strukturschwacher Regionen auch in Westdeutschland. Vor allem im Zusammenhang mit dem Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr 2019 wird eine Sonderrolle des Ostens in der politischen Debatte seit längerer Zeit in Frage gestellt. So machte der Redner der Unionsfraktion Mark Hauptmann kein Hehl aus seiner Abneigung gegenüber dem Befund Karawanskijs: Er könne »diese Jammerei« der LINKEN nicht mehr hören. »Bei Ihnen ist der Jammerton zum Kammerton geworden.« Indirekt stimmte die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt darin dem CDU-Politiker zu. Es gehe nicht dem ganzen Osten schlecht, »das ist Quatsch«. Es gehe um mehr als Ost und West - es gehe um Zusammenleben und Zusammenhalt in Deutschland. Göring-Eckardt bezog hier ausdrücklich Zuwanderer und Flüchtlinge ein - jene, »die erst kurz in diesem Land sind«. Das in diesem Jahr beschlossene Integrationsgesetz setze hierbei ein »falsches Signal« und müsste eigentlich Integrationsverhinderungsgesetz heißen, meinte die Grünen-Politikerin.
Zu den Einheitsfeierlichkeiten am Montag werden nach offiziellen Angaben Hunderttausende Besucher erwartet. Am offiziellen Festakt am Montag in Dresden wollen Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel teilnehmen, als Hauptredner ist Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) vorgesehen.
Wegen zweier explodierter Sprengsätze sowie einer am Donnerstag in Dresden gefundenen Bombenattrappe sind die Sicherheitsvorkehrungen in der Stadt enorm. Eine heiße Spur nach den Vorfällen gab es am Freitag noch nicht. Er könne keine neuen Erkenntnisse vermelden, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft, die die Ermittlungen übernommen hat. Ob der Fund der Bombenattrappe mit den Sprengstoffanschlägen auf eine Moschee und das Kongresszentrum am Montagabend in Zusammenhang stehe, könne ebenfalls noch nicht gesagt werden. »Das ist noch Gegenstand der Ermittlungen.«
Ein kurz nach den Sprengstoffanschlägen aufgetauchtes Bekennerschreiben ist offenbar eine Fälschung. Zu diesem Ergebnis seien Spezialisten nach einer Prüfung des Schreibens gekommen, berichtete das Nachrichtenportal »tagesschau.de« am Freitag unter Berufung auf die Generalstaatsanwaltschaft Dresden. Neue Erkenntnisse zu den Tätern lägen in dem Fall nicht vor. Das angebliche Bekennerschreiben war wenige Stunden nach den Taten auf einer Internetplattform aufgetaucht, die der linken Szene zugerechnet wird. Vertreter linker Gruppen hatten sich umgehend von dem Text distanziert und ihn als Fälschung bezeichnet. Mit Agenturen
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