Importbedarf im Torwartland
Die Fußball-Bundesligisten setzen mehrheitlich auf ausländische statt auf deutsche Torhüter
Jaroslav Drobny zeigt große Gefühlsregungen nicht offen. Innerlich aber wird den loyalen Tschechen der Vertrauensbeweis freuen, den der neue Bremer Trainer Alexander Nouri gerade ausgesprochen hat. »Wir haben zwei sehr gute Torhüter, aber für den Moment gibt es keinen Grund für einen Wechsel.« Will heißen: Die speziell für den 37-jährigen Übergangstrainer wegweisende Begegnung an diesem Samstag in Darmstadt bestreitet Tormann Drobny, der am 18. Oktober selbst seinen 37. Geburtstag feiern wird.
Dem zehn Jahre jüngeren Felix Wiedwald, aufgewachsen in Thedinghausen bei Bremen und von Werder selbst ausgebildet, bleibt nichts anderes übrig, als den routinierten Konkurrenten von der Bank aus zu unterstützen. »Wie er das macht, ist nicht selbstverständlich«, lobt Nouri, der den Torwarttausch - eine der letzten Amtshandlungen seines Vorgängers Viktor Skripnik - übernommen hat.
Damit ging ein Paradigmenwechsel auf einer Paradeposition des deutschen Fußballs einher: Erstmals in 53 Jahren Bundesliga-Geschichte besetzen mehr Spieler aus dem Ausland als Einheimische die 18 Stammplätze zwischen den Pfosten. Nur acht der für den sechsten Spieltag eingeplanten Torhüter - Manuel Neuer (FC Bayern München), Ralf Fährmann (Schalke 04), Bernd Leno (Bayer Leverkusen), Timo Horn (1. FC Köln), René Adler (Hamburger SV), Oliver Baumann (TSG Hoffenheim), Michael Esser (Darmstadt 98) und Alexander Schwolow (SC Freiburg) - besitzen einen deutschen Pass.
Heimlich, still und leise hat beinahe eine Revolution stattgefunden: Noch in der Saison 2013/2014 beschäftigten nur der VfL Wolfsburg (Diego Benaglio), FC Augsburg (Marvin Hitz) und Eintracht Braunschweig (Daniel Davari) eine ausländische Nummer eins. Deutsche Torhüter galten als bestens ausgebildet und waren geschätzte Konstanten im Klub. Die Suche nach den Ursachen für diese Entwicklung mündet jedoch keineswegs in der Erkenntnis, dass ein Gütesiegel verlustig gegangen sei.
»Deutsche Torhüter haben einen hohen Stellenwert in Europa. Neuer ist Welttorhüter und überstrahlt momentan die Konkurrenz«, stellte der einstige Welttorhüter Oliver Kahn gerade erst fest. Andere deutsche Keeper taugten zudem zum begehrten Exportartikel: Marc-André ter Stegen (FC Barcelona) und Kevin Trapp (Paris St. Germain), Ron-Robert Zieler (Leicester City) und Loris Karius (FC Liverpool) fanden aufgrund ihres Entwicklungspotenzials eine lukrative Anstellung im Ausland. Gerade ter Stegen steht bei Bundestorwarttrainer Andreas Köpke hoch im Kurs, der den gebürtigen Mönchengladbacher als Prototypen des modernen deutschen Torhüters preist.
Gleichwohl ist kaum zu leugnen: Andere Nationen haben erheblich aufgeholt. Beeindruckend die Güteklasse der Schweizer Schlussleute, die - bevor Benaglio seinen Stammplatz in beim VfL Wolfsburg verlor - mit Roman Bürki (Borussia Dortmund), Yann Sommer (Borussia Mönchengladbach) und Hitz zeitweise ein Quartett aufboten. »Wir alle waren vielleicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort, aber die Ausbildung ist natürlich ein wichtiger Punkt«, sagte Hitz zur eidgenössischen Präsenz im Torwartland Deutschland.
Mit Rune Jarstein (Hertha BSC) und Örjan Nyland (FC Ingolstadt) haben sich zwei norwegische Keeper in der Bundesliga durchgesetzt. Hinzukommt der Belgier Koen Casteels in Wolfsburg. Der 24-Jährige stellte interessanterweise erhebliche Unterschiede in der Ausbildung fest: Bei ihm sei es einst in Genk zuvorderst um Technik gegangen: »Wir haben schon in der Jugend mehr als 50 Prozent mit dem Fuß gemacht - das war für deutsche Verhältnisse vielleicht ungewöhnlich.«
Insgesamt stammen die zehn ausländischen Torhüter aus sieben Nationen. Neben dem Ungar Peter Gulacsi (RB Leipzig) und dem Dänen Jonas Lössl (FSV Mainz 05) ist vor allem die Person Lukas Hradecky bemerkenswert. Als Eintracht Frankfurt vor mehr als einem Jahr nach einem Nachfolger für den nach Frankreich abgewanderten Trapp fahndete, ging der Blick von Sportdirektor Bruno Hübner alsbald ins Ausland. Deutsche Kandidaten auf dem gleichen Niveau wie Hradecky waren nicht so günstig zu bekommen.
Die Investition von zwei Millionen Euro Ablöse in den 26-Jährigen hat sich mehr als ausgezahlt: Der finnische Nationaltorwart mit slowakischen Wurzeln hat sich zum Publikumsliebling, Leistungsträger und Charakterkopf entwickelt und ganz nebenbei seinen Marktwert längst verdoppelt.
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