»Solidarische Stadt für alle«

Spitzenkandidaten diskutieren beim Berliner Sozialgipfel

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor dem DGB-Haus am Wittenbergplatz demonstrierten am Mittwochabend schon Angestellte der Tochterfirmen von Charité und Vivantes mit großen Transparenten für bessere Löhne. Da waren die Spitzenkandidaten der Parteien noch gar nicht da, um die sozialpolitischen Themen der nächsten Legislaturperiode zu diskutieren. Das ist Thema des Berliner Sozialgipfels unter dem Motto »Solidarische Stadt für alle«. Die Protestierenden vor der Veranstaltung fordern die Abschaffung prekärer Arbeitsplätze und tariffreier Bereiche, heißt es auf einem großen Plakat. Die prekäre Arbeit ist auch eines der Hauptthemen, die an diesem Abend zwischen den Teilnehmern im Saal diskutiert werden.

Ein Bündnis aus Gewerkschaften, Sozialverbänden und Vereinen hatte ein Positionspapier für den Sozialgipfel erstellt, in dem unter anderem faire Löhne, niedrigere Mieten und gesellschaftliche Teilhabe von älteren und behinderten Menschen gefordert wurden (»nd« berichtete). »Berlin soll eine soziale Stadt sein«, sagt Doro Zinke, Vorsitzende der Deutschen Gewerkschaftsbundes Berlin (DGB) in ihrer Eröffnungsrede. Leider sei Berlin aber immer noch »Stadt der prekären Arbeit«. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagt in diesem Zusammenhang, man müsse »mehr einstellen und besser bezahlen«, um Rückstände der letzten Jahre aufzuholen. Er räumt aber auch ein, nicht alles auf einmal korrigieren zu können.

Klaus Lederer, Spitzenkandidat der LINKEN, betont, dass sinkende Erwerblosenzahlen nicht über die schlechte Arbeitssituation in der Stadt hinwegtäuschen dürften. In Berlin leben über 118 000 sogenannte Aufstocker, die trotz Beschäftigung auf Leistungen durch das Jobcenter angewiesen sind. Das Resultat daraus ist steigende Altersarmut. »Jeder zweite Pflegebedürftige wird zum Sozialhilfeempfänger«, sagt Mario Czaja, Sozialsenator der CDU, der anstelle von Frank Henkel an der Veranstaltung teilnimmt. Er fordert daher ein besseres Finanzierungssystem der Pflegeversicherung.

Aus einer Publikumsfrage zu diesem Thema entsteht eine Debatte über das hohe Rentenalter. »Wir brauchen mehr Flexibilität«, findet Müller. »Manche können und wollen bis 67 arbeiten.« In bestimmten Berufsfeldern jedoch sei es unzumutbar. Eine ähnliche Sicht vertritt auch die als »Gesicht der Grünen« anmoderierte Ramona Pop. Es sei durchaus für viele Menschen machbar, bis zum 67. Lebensjahr zu arbeiten, beispielsweise für diejenigen, die studiert haben. Auch glaubt sie zu wissen, dass gerade Männer ein besonderes Geltungsbedürfnis hätten, aufgrund dessen sie gerne länger im Beruf blieben. Bei der Polizei zum Beispiel sei es jedoch unzumutbar, so lange zu arbeiten. »Was ist am Ende der Maßstab?«, fragt daraufhin Klaus Lederer. »Menschen sollen nicht rackern, bis sie umfallen.« Er fordert eine Grundrente ab 60.

Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, erklärt, Wohnen sei in Berlin zum Armutsrisiko geworden. »Der Senat hat bisher keine wirksame Umsteuerung erreicht«, sagt Wild. Dabei läge die Wohnkostenbelastung für Mieter bereits bei durchschnittlich 35 Prozent. Auch Ramona Pop meint, die Miete sei »die neue soziale Frage in Berlin«. Sie spricht sich deshalb für eine Spekulationsbremse für den Immobilienmarkt aus. Senatschef Müller will beim Thema Wohnen »zweigleisig fahren«. Zum einen mit Neubau und Zukauf durch städtische Wohnungsbaugesellschaften. Zum anderen will er mit regulierenden Maßnahmen in den Wohnungsmarkt eingreifen. Er nennt hier Mechanismen wie die Mietpreisbremse und den Milieuschutz. »Wir werden aber die Mietpreisentwicklung nicht gänzliche stoppen können«, sagt Müller.

Insgesamt verläuft die Diskussion an diesem Abend deutlich harmonischer als noch bei der Fernseh-Talkrunde im »rbb« am Dienstagabend. Dies kann auch daran liegen, dass die rechtspopulistische AfD nicht zur Diskussion beim Sozialgipfel eingeladen wurde.

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