Einfach kleingerechnet
Die Hartz-IV-Sätze sollen minimal steigen, doch ausgerechnet die Jüngsten gehen leer aus
Die »Bild« und ihre Schlagzeilen - da ist stets Vorsicht angebracht. So auch am Dienstag, als das Blatt in gewohnt großen Lettern meldete: »Hartz IV - Für Kinder gibt es bis zu 311 Euro im Monat.« Das ist bestenfalls die halbe Wahrheit, wenn nicht irreführend. Die Hartz-IV-Regelsätze sollen zum 1. Januar 2017 angehoben werden. »Bild« beruft sich dabei auf einen Referentenentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium. Ein Sprecher des Ministerium betätigte gegenüber »neues deutschland« die Existenz des Papiers, schränkte aber ein: »Bundesministerin Andrea Nahles hat den Entwurf für das Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz in die Ressortabstimmung gegeben. Die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung bleibt abzuwarten, daher bitten wir um Verständnis, dass wir nicht weiter im Detail dazu Stellung nehmen können.«
Wenn der Entwurf wie geplant durchgeht, dann soll der monatliche Regelsatz für alleinstehende Langzeitarbeitslose von derzeit 404 Euro auf 409 Euro im Monat steigen, für Paare von 364 auf 368 Euro pro Partner. Bei Kindern und jungen Erwachsenen sieht die Sache schon ganz anders aus. Hier gibt es vier verschiedene, nach Alter abgestufte Sätze. Von den 311 Euro, die die »Bild« kolportierte, können Eltern von Kleinkindern auch im kommenden Jahr nur träumen. Der monatliche Satz für Kinder bis zu sechs Jahren soll unverändert bei 237 Euro im Monat bleiben. Laut »Bild« deckt »die Stütze bisher den Bedarf ab«. Dafür klettern die Sätze für Kinder zwischen sechs und 13 Jahren. Sie sollen im nächsten Jahr 21 Euro mehr pro Monat erhalten, also 291 statt 270 Euro. Grund hierfür: Der Bedarf für Lebensmittel und Getränke liege höher als bislang berechnet.
Kinder zwischen 13 und 18 Jahren kriegen demnach vom nächsten Jahr an 311 statt bisher 306 Euro. Ein Mini-Plus von fünf Euro. Die Sätze für unter 25-Jährige, die im Haushalt der Eltern wohnen, steigen dem Bericht zufolge von 324 auf 327 Euro. Hintergrund für die Anhebung, so »Bild«, seien »der Preisanstieg und eine Neuberechnung des Bedarfs auf Basis neuer Statistikdaten«. Das ist ebenfalls nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich kommen die Erhöhungen deutlich verspätet. Denn eigentlich sollen die Regelsätze auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstatistik (EVS) ermittelt werden. Die EVS ist liefert statistische Informationen über die Ausstattung mit Gebrauchsgütern, das Einkommen »sowie die Konsumausgaben privater Haushalte«, wie das mit der Auswertung beauftragte Statistische Bundesamt (Destatis) erklärt.
Allerdings werden die Daten für die EVS nur alle fünf Jahre erhoben. Zudem benötigt Destatis viel Zeit, um das Zahlenwerk aufzubereiten. So veröffentlichte das Amt die Ergebnisse der letzten EVS aus dem Jahre 2013 erst im September 2015. Und obwohl das XII. Sozialgesetzbuch zwingend vorgab, die Regelsätze für 2016 aus den EVS-Daten des Jahres 2013 zu berechnen, verzichtete das Bundesarbeitsministerium darauf und schrieb die Regelsätze auf Basis der veralteten EVS 2008 einfach fort, dabei richtete man sich nach einem Mischindex aus Preissteigerungen und der Entwicklung der Nettolöhne.
Martin Künkler von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS) gab am Dienstag zu bedenken: »Die Erhöhungen erscheinen nur auf den ersten Blick viel. Die Anpassungen der Sätze in den letzten Jahren sind nie den tatsächlichen Kosten für ein Kind gerecht geworden«, so Künkler. »Hier hat sich im Laufe der Jahre ein riesiger Nachholbedarf aufgestaut, der auch mit der Erhöhung nicht vollständig abgebaut wird.«
Das Grundübel der geplanten Hartz-IV-Sätze sei, so Künkler, »dass das Arbeitsministerium sie fast nach demselben kritikwürdigen Verfahren berechnet hat wie die schwarz-gelbe Regierung bei der letzten Festsetzung im Jahr 2011.«
Tatsächlich tappen hier auch andere Fachleute im Dunkeln. Ulrich Schneider, Geschäftsführer das Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, forderte am Dienstag die Bundesregierung auf, »die Regelsatzberechnungen umgehend offenzulegen«. Er verwies auf eine Studie seines Verbandes, wonach »der Regelsatz seit 2011 durch manipulative Eingriffe in die Statistik verzerrt worden und im Ergebnis nicht bedarfsdeckend« sei. Nach letzten Studien des Verbandes wäre bereits in diesem Jahr eine Anhebung der Regelsätze um 23 Prozent auf 491 Euro erforderlich gewesen. Stattdessen erhalten die Betroffenen derzeit nur 404 Euro. Im nächsten Jahr dann fünf Euro mehr.
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