Sozi, konservativ, hanseatisch
Hamburgs Elder Statesman Henning Voscherau ist tot
Er war der Idealtypus der wertkonservativen Sozialdemokratie, die seit Gründung der Bundesrepublik die Lufthoheit in der Hamburgischen Bürgerschaft hat. »Fleiß, Härte und Präzision«, lautete das dreifaltige Prinzip von Henning Voscherau, der in der Nacht zum Mittwoch den Folgen eines Hirntumors erlag.
Der Rechtsanwalt und Notar hat die Elbmetropole von 1988 bis 1997 mit protestantischer Arbeitsmoral regiert. »Wer zu meiner Zeit als Bürgermeister abends am Rathaus vorbeigegangen ist, hat meistens Licht in meinem Büro sehen können. Bei Ole von Beust ist es schon früh dunkel«, stichelte Voscherau später, nachdem es dem Christdemokraten von Beust 2001 gelungen war, nach mehr als einem halben Jahrhundert die SPD-Herrschaft in der Hansestadt zu brechen.
Voscherau war nicht nur »geborener Sozi«, wie er sich selbst bezeichnete, sondern auch Hanseat. Am 13. August 1941 hatte er als Sohn des Schauspielers Carl Voscherau das Licht der Welt erblickt und wie auch Bruder Eggert erst einmal etwas »Anständiges« lernen müssen. Der Junge besuchte die Wirtschaftsoberschule und ging bei Unilever in die kaufmännische Lehre, bevor er Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre studierte.
1966 trat er der SPD bei und brachte es 1982 zum Fraktionsvorsitzenden in der Bürgerschaft. Der enge Freund des 2015 verstorbenen Altkanzlers Helmut Schmidt galt wie nahezu alle hanseatischen SPD-Bürgermeister als großer Freund der Wirtschaft mit Neigung zur Law-and-Order-Politik. Im Bürgerschaftswahlkampf 1997 versuchte Voscherau mit markigen Sprüchen wie »Deutsche Knäste müssen Deutschen vorbehalten bleiben« beim Wähler zu punkten und auf diese Weise die rechtspopulistische STATT-Partei loszuwerden, mit der die SPD koaliert hatte. Und, heute kaum mehr unvorstellbar: Mit den Grünen wollte der Befürworter der Kohlekraftwerk-Dreckschleuder Moorburg und der umstrittenen Elbvertiefung partout nicht regieren - eine sture Entscheidung, die ihn das Bürgermeisteramt kostete. Voscherau musste das Ruder dem SPD-Linken Ortwin Runde übergeben, der das erste rot-grüne Bündnis in Hamburg schmiedete.
Nach der Niederlage setzte sich Voscherau nicht zur Ruhe und wirkte als »Elder Statesman«. Als er vor einem Jahrzehnt gefragt wurde, ob er die durch diverse Skandale geschwächte SPD wieder in den Wahlkampf führe wolle, sagte er aber »nein«. Und dürfte sich doch gebauchpinselt gefühlt haben. Für immer verbunden bleiben wird sein Name mit Hamburgs jüngstem Stadtteil HafenCity, als deren wichtigster ökonomischer und politischer Architekt er gilt. Voscherau habe die Stadt zu einem »Unternehmen Hamburg« formen wollen, merkte Sabine Boeddinghaus, Co-Vorsitzende der Linksfraktion in der Bürgerschaft, über den »engagierten und verlässlichen Staatsmann« verhalten kritisch an.
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